Die Portugiesische Reise (German Edition)
Türme, die bis an die oberen Bereiche der Fensterrosette reichen. Heute haben sich die Augen schon so an diesen Bau gewöhnt, dass das Exzentrische des Rokoko- Portals und die Unvereinbarkeit der Kuppeln und Baluster der Türme gar nicht mehr auffallen. Trotzdem ist es die Galerie von Nasoni, die sich am besten in das Ganze fügt. Dieser Italiener, ausgebildet von Meistern, die eine andere Sprache sprachen und lehrten, kam hierher, hörte, was für eine Sprache hier im Norden Portugals gesprochen wurde, und übertrug sie auf den Stein. Man verzeihe dem Reisenden, dass er darauf beharrt, aber das nicht zu verstehen ist ein schweres Vergehen und Zeichen von wenig Einfühlungsvermögen.
Das Innere der Kirche überrascht durch die Größe der Pilaster und den Schwung der spitz zulaufenden Gewölbe. Ein Gegenstück dazu bildet der glücklicherweise restaurierte Kreuzgang von 1385, der klein und von einer tadellosen Geometrie ist, was die neuen Steine im Bogengang unterstreichen. Auf dem Kreuz in der Mitte ist der Kopf Christi verstümmelt. Das Gesicht ist ganz verschwunden, und auf der glatten Oberfläche versuchen jetzt Flechten, neue Züge zu zeichnen. Neben dem Kreuzgang liegt ein ehemaliger Friedhof. Hier wurden Juden begraben, gleich neben der christlichen Kirche, das verwirrt den Reisenden, und er beschließt, Licht in diese überraschende Nachbarschaft zu bringen.
Als der Reisende die Kathedrale verlässt, erblickt er die Dächer des Viertels Barredo. Er geht den Platz hinunter und versucht, die Straßenzüge zwischen den kaum erkennbaren Fassaden zu erahnen, und als er zurückkehrt, sieht er einen eigentümlichen Brunnen an der Mauer unterhalb des Platzes. Obenauf steht ein Pelikan, der aussieht, als wollte er sich das eigene Fleisch aus der Brust picken. Vom oberen Becken muss das Wasser aus vier Fratzen geflossen sein, die kaum aus dem Stein hervortreten. Das Becken wird von zwei Kinderfiguren gestützt, nur mit halbem Rumpf, die aus einer Art Blumenkrone herauskommen. Der Reisende ist sich dessen nicht sicher, er sagt lediglich, was er sieht oder zu sehen meint, aber unbestreitbar ist der bedrohliche Ausdruck der Frauenfiguren, ebenfalls nur mit halbem Rumpf, die auf Säulen stehen und jeweils eine Urne halten. Das Ganze ist eine Ruine. Als der Reisende Leute in der Nachbarschaft befragt, bekommt er zu hören, dieses sei der Brunnen des Vogels oder Vögelchens, er weiß es nicht mehr so genau. Was ihm niemand erklären kann, ist der Grund für den zornigen Blick, mit dem die beiden Frauen einander mustern, und auch nicht, was sich in den beiden Urnen befindet oder wozu das Wasser diente, das früher hier floss. In der Brust des Pelikans ist eine Öffnung, aus der das Wasser sprudelte. Die drei Kinder des Pelikans, die weiter unten angedeutet sind, leiden an ewigem Durst. So wie jetzt der ganze Brunnen, schmutzig, beschädigt und verwahrlost. Wenn der Reisende eines Tages wieder nach Porto kommen sollte und den Brunnen nicht mehr vorfindet, so würde ihn das sehr bekümmern. Er würde es als ein Verbrechen bezeichnen, das am helllichten Tage begangen und weder von der Kathedrale darüber noch von den Leuten aus dem Barredo darunter verhindert wurde.
Als der Reisende am nächsten Tag aufbrechen will, nachdem er die wunderbare Kirche Santa Clara besucht hat, ein wahrhaftes Juwel, mit einem Portal, das Züge der Renaissance trägt, den barocken Schnitzereien, die den Reisenden erneut mit dieser Epoche versöhnen, und dem geschützten alten Hof, zu dem das ehemalige Tor des Klosters führt – als also der Reisende aufbrechen will, geht er noch einmal zum Pelikanbrunnen, betrachtet die zornigen Frauen, die, im Stein gefangen, einander trotzen, und weiß, dass hier ein Geheimnis schlummert, das ihm niemand erklären wird, und das ist auch der Eindruck, den er von Porto behalten wird, ein tiefes Geheimnis aus dunklen Straßen und erdfarbenen Häusern, faszinierend wie die Lichter, die am Abend an den Hängen angehen, dieser Stadt am Fluss namens Doiro.
Flaches Land am Meer
Endloses Wasser
Der Reisende fährt Richtung Süden. Er überquert den Rio Douro in Vila Nova de Gaia und kommt in ein Land, das, genau genommen, anders ist, aber er erspart den Fischen eine weitere Predigt. Von einer so hohen Brücke hätten sie ihn sowieso nicht gehört, abgesehen davon, dass diese hier Stadtfische sind, die sich nicht für Predigten interessieren. Am linken Ufer des Flusses liegen wahre Schätze begraben: Sie kommen
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