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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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einen Teil seines Herzens in Ovar gelassen hat: Nur so lässt sich beschreiben, was er verspürt angesichts dieses schwarzen Damenhutes aus dichtem Filz mit einer großen runden Krempe, an der sechs Troddeln hängen. Wer ihn nicht gesehen hat, kann sich kein Bild von dieser Anmut machen, der Eleganz, der unwiderstehlichen Weiblichkeit dessen, was der Beschreibung nach klingt wie ein missgestalteter Sonnenschirm. Es gibt genügend Gründe, nach Ovar zu fahren, aber sollte der Reisende einmal wiederkommen, dann wegen dieses Hutes.
    Von Ovar nach Furadouro sind es fünf Kilometer, immer geradeaus, als wollte die Straße sich ins Meer werfen. Ein schier endloser Sandstrand, gen Süden zu Dünen aufgeworfen, und das Licht gleicht einem funkelnden Kristall, was, bedingt durch die winterliche Jahreszeit, gerade noch erträglich ist. Zur selben Tageszeit würde man im Sommer an den unzähligen Spiegelungen im Wasser und im Sand erblinden. Jetzt wandert der Reisende über den Strand, als erlebte er den Anbruch der Welt.
    Es ist ein feierlicher Moment. Da unten liegt die Ria de Aveiro, eine Lagune mit vierzig Kilometer Küste, die zwanzig Kilometer weit ins Landesinnere führt, Festland und Wasser rings um alle erdenklichen Formen von Inseln, Landengen, Halbinseln, alle nur erdenklichen Farben von Flüssen und Meer. Die Gebete des Reisenden sind erhört worden: Es ist windstill, das Licht perfekt, die endlosen Wasser der Lagune liegen still wie ein unbeweglicher See. Dieses ist das Reich des Flusses Vouga, aber der Reisende sollte nicht vergessen zu erwähnen, dass auch das feine Netz der kleinen Flüsse und Bäche, die aus den Serras da Freita, do Arestal und do Caramulo in Richtung Meer fließen, seinen Teil dazu beiträgt; teils geben sie sich zuvor geschlagen und gehen in den Vouga über, teils bahnen sie sich ihren eigenen Weg und münden ganz allein in die Lagune. Hier sind die Namen einiger von ihnen, wenn man von Norden nach Süden entlang dieses Wasserfächers fährt: Antuã, Ínsua, Caima, Mau, Alfusqueiro, Álgueda, Cértima, Levira, Boco. Daneben die, deren Namen nur diejenigen wissen, die direkt an ihren Ufern leben und sie von Geburt an kennen. Wäre dies die Zeit sommerlicher Vergnügungen, so wären die Straßen hoffnungslos überfüllt, die Strände voller Badegäste und das Wasser voller Tret- und Segelboote. Aber auch wenn die Sonne so wunderbar scheint und am Himmel keine Wolke zu sehen ist, heute ist ein Wintertag und der Frühling meilenweit weg. Der Reisende bildet sich ein, er sei das einzige Lebewesen weit und breit, abgesehen von den Menschen und Tieren, deren natürlicher Lebensraum die Ria ist. Deswegen (denn alles Gute hat seine Schattenseiten) sind auch die Salinen verlassen, die Tangfischerboote auf den Strand gezogen und nirgendwo ein Händler zu sehen. Geblieben ist die große Lagune und ihr stiller blauer Atem. Das, was der Reisende nicht sehen kann, stellt er sich vor, auch dazu ist Reisen gut. Die Ria hat heutzutage einen Namen, der gut zu ihr passt: Sie heißt Einsamkeit, und sie spricht mit dem Reisenden, spricht zu ihm ununterbrochen von Wasser und schlammigen Algen, von Fischen, die zwischen zwei Wasserschichten unter der spiegelnden Oberfläche verharren. Der Reisende weiß, dass dies nur ein Versuch sein kann, das Unaussprechliche zu benennen, dass Worte nicht auszudrücken vermögen, was ein Wassertropfen ist, geschweige denn dieser lebende Körper, der Land und Meer verbindet wie ein riesiges Herz. Der Reisende hebt den Blick und sieht eine kühne Möwe. Sie kennt die Ria. Sie sieht sie von oben, streift mit ihren hängenden Füßen die glatte Oberfläche und taucht ein, zwischen Tang und Fischen. Sie ist Jäger, Navigator, Forscher. Sie lebt hier, ist gleichzeitig Möwe und Lagune, so wie dieses Boot Lagune ist, dieser Mann, dieser Himmel, diese tiefe Ergriffenheit, die jetzt schweigt.
    Der Reisende durchquert die Gegend um Murtosa und bemerkt, zuerst nur als vagen Eindruck, dann durch bewusste Beobachtung, dass alle Häuser, auch die eingeschossigen und selbst die ganz bescheidenen, die man zwischen den Bäumen und hinter den Mauern kaum sieht, etwas Palastartiges haben. Woher das kommt, entdeckt er wenig später oder meint es zumindest zu entdecken, womit sich wieder mal zeigt, wie kleine Mittel große Wirkung erzielen können. Es sind zunächst Proportion, Farbe, Standort, die angenehme Umgebung, aber vor allem auch die Verzierungen aus rotem Ton, Spitztürme, Zinnen und

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