Die Portugiesische Reise (German Edition)
erlesener Feinheit, durchsetzt mit Marmor in gut gewählten Farben, aber wie man weiß, ist der Reisende eher für andere Stilrichtungen und Materialien empfänglich. Dafür erfreut er sich an der Naivität und dem Anachronismus der Gemälde, die die Wände des heute Sanktuarium genannten Raumes schmücken, insbesondere an dem Bild, das die Prinzessin zeigt, wie sie Dom Afonso V. bei seiner Rückkehr aus Arzila empfängt: Im Hintergrund hält in geschlossener Formation eine Kompanie Grenadiere mit Fellmützen Ehrenwache, während der König Gewand und Aussehen eines Edelmanns hat, der sich am Hofe wohler fühlt als auf dem Schlachtfeld. Aber die vollkommene Inkongruenz erreicht die Hofberichterstattung in dem von Pachini gemalten Bild der Prinzessin Joana, das sie mit dem Gesichtsausdruck und dem Schmuck einer Pompadour zeigt und dem Jesuskind auf ihrem Schoß alles Himmlische nimmt, wobei zum Beispiel der Heiligenschein sich kaum mehr vom goldblonden Haar unterscheiden lässt. Die heilige Prinzessin steht ihm in nichts nach, sie ist über und über geschmückt mit Federn, Gold und Edelsteinen. Zum Glück ist da noch das andere Bild, aus dem 15. Jahrhundert, gut erhalten, präzise in seiner Plastizität, das eine traurige, portugiesische Prinzessin zeigt.
Mehr als erwähnenswert sind die wahrscheinlich italienische und aus dem 15. Jahrhundert stammende Senhora da Madressilva , die Azulejos und Säulenreihen um das São Domingos darstellende Gemälde, die großartige Sagrada Família von Machado de Castro, ein vollendetes Werk, das der Heiligen Familie das Konventionelle ihrer Pose nimmt. So viele wunderbare Kunstwerke erfordern einen mehrmaligen Besuch, lange Betrachtungen und eine intensive Beschäftigung. Der Reisende wird hier nur über den Jesus am Kruzifix sprechen, der, wenn ihn die Erinnerung nicht trügt, mit dem Rücken zum Raum gewandt im oberen Teil des Chores hängt. Eine merkwürdige Figur, ohne Haare, so scheint es zumindest. Nicht einmal die Dornenkrone trägt er, wahrscheinlich ist sie einfach verschwunden. Auf Anhieb befremdlich wirkt die ungewöhnliche Anatomie: Es ist nicht der ausgezehrte Körper, den wir gewohnt sind, er hat nichts von der Schlankheit, die durch den Verfall von Rumpf und unteren Gliedmaßen normalerweise betont wird, ist aber auch weder Rubens’scher Athlet noch die Kasteiung des erschlafften Fleisches, wie es zum Beispiel nach dem Geschmack eines El Greco wäre. Er ist einfach ein Mann, ein armer Mann von mittlerer Statur, dessen Knochengerüst nichts von den klassischen Proportionen weiß. Er hat kurze Beine, den Oberkörper eines Mannes, der schwere Lasten zu tragen hat, und das menschlichste Gesicht, das die Augen des Reisenden auf seinem langen Weg gesehen haben. Von ganz oben lässt er den Kopf hängen und zeigt uns sein Antlitz. Und wenn man ihn von sechs verschiedenen Positionen aus betrachtet, wechselt er sechsmal seinen Ausdruck, zwar graduell, aber doch gleichzeitig jäh und plötzlich. Geht der Betrachter allerdings ganz langsam wie in einem Vieleck von einer Position zur anderen, ohne sich dort aufzuhalten, sieht er das Gesicht nacheinander als das eines Jungen, eines Erwachsenen und eines alten Mannes, und alles lässt sich in ihm lesen, Heiterkeit, Friede, Agonie, Tod, ein vages Lächeln, Zeitlosigkeit, falls so etwas existiert. Was ist das für ein Jesus, von dem er noch nie etwas gehört hat? Der Führer meint, er käme aus Burgos, von zum Christentum konvertierten Arabern, so erkläre sich auch die andersartige Anatomie und das exotische Gesicht. Wenn der Bildhauer Maure war, wird er lieber seinen eigenen Körper als Modell genommen haben, anstatt sich bei anderen Kulturen umzusehen, denen er sich nur schmerzvoll hatte anpassen können. Die Jesusfigur drückt in den Augen des Reisenden diesen Schmerz aus.
In der Nähe des Museums befindet sich die Kirche São Domingos oder auch Kathedrale. Direkt davor steht der Cruzeiro, ein wurmstichiges gotisch-manuelinisches Kreuz, die Füße des Gekreuzigten sind nach innen gewandt, was besser zu den brutalen Nägeln passt, die sie durchbohren. Entweder hat der Bildhauer damit seine Unfähigkeit zu kaschieren versucht, oder es handelt sich womöglich um große Kunst, dank deren verhindert wurde, dass die vorstehenden Füße aus der vertikalen Ebene des hängenden Körpers herausragen. Die Kirche sollte besichtigt werden, es gibt genügend gute Gründe dafür, aber der Reisende ist verwöhnt, er sieht sich ein wenig um
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