Die Porzellanmalerin
Bäuerinnen ihre Kinder stillten, selbst in den großen Städten ging man mehr und mehr dazu über, zumal die Vorteile des Stillens so eindeutig auf der Hand lagen. Auch wenn die Kinder größer wurden, pflegten die Frauen der besseren Gesellschaft sich zunehmend um ihre Aufzucht zu kümmern, das hatte sie ebenfalls gehört und auch schon mit eigenen Augen gesehen. Mochten die Leclercs hier anders verfahren - eine mit Kindern tobende
Luise war in ihrer ganzen Sprödigkeit auch nur schwer vorstellbar, genauso wenig wie sich die hübsche, aber eben nicht besonders intelligente Mathilde als Hauslehrerin denken ließ -, sie, Friederike Bogenhausen, geborene Simons würde jedenfalls tun, was sie für richtig hielt. Zum Glück hatte sich Carl in dieser Frage ganz auf ihre Seite gestellt. Während ihre eigene Mutter ihr in den Rücken gefallen war und in das gleiche Horn wie die Frankfurter Verwandtschaft getrötet hatte. Allerdings nur schriftlich und aus ganz anderen Gründen: »Kind, du musst an deinen Busen denken«, hatte sie geschrieben. »Du glaubst doch nicht, dass er seine Form behalten wird, wenn du monatelang einen Säugling daran nuckeln lässt!«
Friederike schmunzelte in Gedanken an ihre Mutter. Sie hatte kurz vor ihrer Eheschließung den Kontakt zu ihren Eltern wieder aufgenommen und ihnen einen langen Brief mit zahlreichen Erklärungen und Rechtfertigungen geschrieben. Constanze Simons hatte sich in ihrem Antwortschreiben nicht lange mit Vorwürfen aufgehalten, sondern sich vor allem entzückt über die Nachricht gezeigt, dass ihre Tochter nicht nur gut heiraten, sondern ihrem »offenbar aus bester Familie stammenden Gatten, dies entnehme ich sehr erfreut Deinen lang erwarteten Zeilen« auch noch so bald ein Kind schenken würde. »Das festigt die Bindung«, hatte ihre Begründung gelautet, »und stärkt deine Stellung im Haus.« Sie hatte ihren Besuch bereits angekündigt: Sobald das Wochenbett vorüber sei und das Wetter die lange Reise erlaube, wolle sie den langen und beschwerlichen Weg von Meißen nach Frankfurt gern auf sich nehmen, um die geliebte Tochter endlich wieder an ihr Mutterherz drücken zu können.
Ihr Vater hatte nur zwei Sätze unter die lange Epistel der Mutter gesetzt: »Was haben die Frankfurter Kaufleute, was die Hamburger nicht haben??? Hoffentlich wirst Du glücklich, mein Mädchen, und lässt Dir Deinen Dickkopf nicht austreiben!«, hatte sein ironisch-liebevoller Kommentar gelautet, der
Friederike noch Tage danach Tränen der Rührung in die Augen getrieben hatte. Und der Sehnsucht - da erst wieder war ihr richtig klar geworden, wie sehr sie ihren Vater vermisste.
Jetzt musste sie sich aber wirklich beeilen! Hastig schlüpfte sie in ihre Kleider - zum Glück konnte sie schon seit ein paar Wochen kein Korsett mehr tragen und musste sich nicht lange mit dem lästigen Schnüren und Knöpfen aufhalten -, stopfte etwas Wechselwäsche in ihre Tasche, kritzelte eine Nachricht für Carl auf einen Zettel und schlich sich aus dem Haus.
Draußen auf der Straße war es noch dämmerig. So schnell ihr Zustand es erlaubte, lief sie die Buchgasse hinunter zum Leonhardstor, an dem der Posten sie mit einem respektvollen Nicken durchwinkte, vorbei an dem mächtigen Turm und der Stiftskirche, bis sie das Ufer erreicht hatte. Am Main herrschte bereits ein buntes Treiben. Fußgänger, Kutschen und Fuhrwerke wuselten durcheinander. Das Marktschiff aus Mainz hatte am Kai festgemacht, kleinere und größere Fischerboote legten im Hafen an oder fuhren hinaus auf den Fluss.
Friederike atmete tief durch. Die kühle Luft erfrischte sie nach dem anstrengenden Lauf. Nicht mehr lange, und der Winter würde kommen. Ein leichter Nebel lag über dem Main. In dem milchigen Licht schimmerten die Blätter an den Bäumen auf dem gegenüberliegenden Sachsenhäuser Ufer in sanften Gelb- und Rosttönen. Plötzlich begannen die Glocken vom Kaiserdom ihr sonores Läuten anzuschlagen. Sieben Uhr. Der Treidler winkte ihr zu.
»Wollen Sie mit, Madame? Dann mal rauf mit Ihnen!«
Er gab seinem Kollegen auf dem Schiff ein Zeichen, dass er ihr an Deck helfen sollte.
Sie schaute sich um. Außer ihr befand sich nur eine Handvoll anderer Passagiere an Bord. Wie lange war es her, dass sie zum ersten Mal das Marktschiff bestiegen und sich nach Höchst aufgemacht hatte? Es kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor. Sie warf einen letzten Blick zurück zum Mainufer, ließ ihre Augen über
die Häuserfassaden am Weinmarkt, zwischen Fahr-
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