Die Praktikantin
Sie hatte einen Freund. Sehr gut. Ich hatte bisher erst zwei Praktikantinnen erlebt, die sich trotz eines Freundes ein Verhältnis in der Redaktion geleistet hatten. Jetzt bloß keine privaten Fragen.
»Bleibt Ihr Freund noch länger in Polen?«
»Ja, mindestens noch ein Jahr. Wir können uns nur alle vier bis acht Wochen sehen.«
Auch gut. Immerhin hatte sie Zeit. Um viel zu arbeiten. Sehr gut. Sie sah sehr gut aus. Eigentlich noch besser als auf dem Foto, auf dem mir die lustigen Grübchen gar nicht aufgefallen waren, und jünger vor allem. Viel jünger als sechsundzwanzig.
»Wann wollen Sie denn mit dem Praktikum bei uns anfangen?«
|50| »Ich, äh, ich habe Ihnen erst einmal noch weitere Textproben von mir mitgebracht, aus Polen, aber auch aus der Zeit bei meiner Schülerzeitung.«
Offensichtlich ging ihr das Gespräch zu schnell. Ich nahm die sauber ausgeschnittenen Artikel, blätterte einen Augenblick darin herum und nickte hin und wieder mit dem Kopf. Was ich las, war furchtbar, aber das würde ich nicht in das fröhliche Gesicht gegenüber sagen. Ich tat, als würde ich mich in einen Text über die Probleme deutscher Arbeitnehmer in einem Callcenter in der Nähe von Warschau vertiefen, als sich Elisabeth Renner zu mir beugte und auf das Foto neben dem Artikel zeigte: »Das habe ich gemacht. Ich musste in Polen auch fotografieren. Die Überschrift ist ebenfalls von mir.«
Sie roch nach diesem Parfüm, von dem mir Marie erzählt hatte, dass ihm Sexualhormone beigemischt seien. Wahrscheinlich wusste Elisabeth Renner das nicht. Sie war genauso freundlich wie unschuldig, ein liebes Mädchen, das hoffentlich bei keinem meiner Redakteure Beschützerinstinkte wecken würde, die schnell zu ganz anderen Instinkten mutieren konnten. Gefeit ist man davor nie, selbst wenn man alt, verheiratet oder versoffen ist. Oder alles zusammen. Ich war wieder mit einer Frage dran.
»Können Sie mir die Texte hierlassen, damit ich sie mir heute Abend in Ruhe durchlesen kann?«
»Natürlich.«
Natürlich habe ich sie nie gelesen. Ich hatte meine Entscheidung längst getroffen. Elisabeth Renner war genau das, was mir fehlte – in der Redaktion, meine ich. Ein Lichtblick, im plattesten Sinne des Wortes. Zwei, drei von ihrer Sorte, und die Arbeit würde vielleicht wieder Spaß machen und Rita Bolzen einmal in der Woche lachen. Trotzdem durfte ich mir meine Begeisterung nicht anmerken lassen. Ich wollte ein Chef sein, der auf Distanz bleibt. Auch wenn mir die Nähe zu dieser Frau von Anfang an guttat.
|51| »Ich würde sagen, wir versuchen es mal miteinander, Frau Renner. Wie lange wollen Sie bleiben, sechs Wochen oder lieber acht?«
»Eigentlich habe ich nur vier Wochen Zeit, Herr Walder. Danach habe ich schon die Zusage für ein Praktikum beim
Badischen Kurier
. Außerdem habe ich auch noch eine längere Segelreise mit meinem Freund geplant.«
»Und dann?«
»Das weiß ich noch nicht. Wie sind Sie denn Journalist geworden?«
Da war sie, die Lieblingsfrage all derer, die glauben, Karriere gemacht zu haben. Die Chance, von einem Aufstieg zu erzählen, gegen den die Geschichte vom Garagenbesitzer zum Internetmillionär eine kurze Meldung in der Wirtschaft ist. Aber gleich würden die Kollegen aus der Mittagspause und Frau Schmidt aus dem
Bistro Bianco
kommen. Ich wollte nicht, dass sie mich so mit Elisabeth sahen. Mit Frau Renner, meine ich.
»Das ist eine längere Geschichte. Die kann ich Ihnen ja mal erzählen, wenn ich ein bisschen mehr Zeit habe. Wollen Sie am Montag anfangen?«
»Wenn das geht.«
»Sonst würde ich ja nicht fragen.«
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|52| ACHT
Oma hatte mir den Zeitungsausschnitt auf den Schreibtisch in meinem Kinderzimmer gelegt. Sie riss oft Artikel aus, von denen sie glaubte, dass sie mich interessieren könnten. Meist ging es ums Kinderkriegen, manchmal waren Buchtipps dabei, selten Rezepte. Immer schrieb Oma etwas in ihrer kleinen, sauberen Handschrift an den Rand: »Hast Du davon schon gehört?« »Das musst Du unbedingt lesen.« »Erzähl mir mal, wie es geschmeckt hat.«
Der neue Artikel stammte aus der
Wützener Zeitung
, Oma hatte den oberen Teil der Seite gleich mit ausgerissen. Es war die Seite sechs, und ich wunderte mich, weil wir uns in der Familie immer darüber lustig gemacht hatten, dass sich unser Heimatblatt nicht einmal Seitenzahlen leisten konnte. Auf einmal waren sie da.
Die Überschrift hieß »Wützener Zeitung mit neuem Chefredakteur«, und darunter sah ich das leicht
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