Die Praktikantin
Kolumne nichts. Marie hatte mir am Morgen danach eine tierische Szene gemacht.) Die Idee war sehr gut, aber sie stammte nicht von mir. Sondern von Professor Michelsen. Er war ganz begeistert von dem Obdachlosen-Tagebuch gewesen. So etwas brauchten wir auch.
Elisabeth macht alles. Ich könnte sie ebenfalls in die, wenn auch schmale, Obdachlosenszene einschleusen, für die große Serie |85| »Unter Wützens Brücken«. Klingt schon der Titel blöd. Sie geht für eine Woche ins Frauenhaus. Oder in die Psychiatrie. Quatsch, das kann ich ihr nicht antun. Was blieb? Natürlich …
»Elisabeth Renner.«
»Elisabeth, hier ist Johann Walder noch mal. Tut mir leid, dass es etwas länger gedauert hat. Ich glaube, mein Akku ist kaputt.«
Ich glaube, ich habe gar keinen Akku.
»Herr Walder, ich habe schon gedacht, Sie trauen mir ihr Projekt doch nicht zu. Wir haben vor mehr als einer Stunde aufgelegt.«
Mist, wirklich? Dann musste es jetzt kurz vor elf sein.
»Nein, ganz im Gegenteil. Sie sind die ideale Mitarbeiterin für diesen Auftrag.«
»Was soll ich denn machen?«
»Elisabeth, Sie gehen wieder in die Schule.«
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|86| DREIZEHN
In der ersten Woche hatte Oma jeden Artikel von mir aus der
Wützener Zeitung
ausgeschnitten, auf ein A4-Blatt geklebt und in einem Ordner abgeheftet. Zehn Seiten waren so in nur fünf Tagen zusammengekommen. Oma hatte schon einen zweiten Ordner gekauft. »Du schreibst ja so viel, Mausi, und lauter interessante Sachen«, hatte sie gesagt, und ob ich nicht auch einmal etwas über die Kleiderkammer machen könnte, die bräuchte dringend noch Schuhe für ihre Partner-Kleiderkammer im afrikanischen Malawi, »Sommerschuhe natürlich«.
Mit Beginn der zweiten Praktikumswoche wurde Oma arbeitslos. Herr Walder musste für ein paar Tage nach München, zu irgendeinem Kongress, und sein Stellvertreter übernahm die Redaktionsleitung. Kaum hatte der neue Chef das Großraumbüro verlassen, saß der Vize auf seinem Stuhl, brüllte Frau Schmidt an, sie solle ihn mit dem Bürgermeister verbinden, »aber hopp, hopp«, und knallte die Füße auf den Tisch. Herr Grainer redete nicht mit den Kollegen, er befahl. Zu mir kam er während der Abwesenheit von Herrn Walder nur einmal, ganz am Anfang.
»Haben Sie noch viele Termine von den Redakteuren bekommen, junge Frau?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich wahrheitsgemäß, »zwei von Herrn Batz, drei von Herrn Peperdieck, einen von Herrn Lenz …«
»Die geben Sie mal schön wieder zurück. Das ist ja hier kein Ferienlager, die faulen Kerle sollen ihre Arbeit bitte sehr selbst machen.«
»Und ich, was soll ich …« Ich kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Herr Grainer nahm die Einladungen zu Pressegesprächen, Einweihungsterminen und Tanzturnieren von meinem Tisch.
|87| »Sie können sich gern Themen ausdenken und diese mir in der Konferenz vorstellen. Dafür ist die Konferenz ja da.«
Am nächsten Tag hatte ich fünf Geschichten vorbereitet, von denen Herr Grainer aber keine haben wollte, am Tag darauf vier andere, die ihm auch nicht gefielen. Am dritten Tag schickte er mich nach der Konferenz nach Hause: »Sie haben ja nichts zu tun. Keiner muss hier bei uns seine Zeit absitzen.« Mir schossen vor Wut Tränen in die Augen, ich stand mit zitternden Händen auf und verließ die Redaktion, bevor der Widder in mir Herrn Grainer sagen konnte, was er von ihm hielt.
Eine halbe Stunde später aß ich zum ersten Mal seit vier Jahren mit meinen Eltern zu Mittag. Papa hatte zwei Stunden zwischen der Vor- und der Nachmittagssprechstunde frei, Mama Königsberger Klopse gekocht. Ich erzählte ihnen kurz von der neuen Situation in der Redaktion.
»Das ist wirklich schade, mein Schatz«, sagte Papa. »Dir hat doch die Arbeit am Anfang so viel Spaß gemacht. Warst doch kaum vor acht zu Hause.«
»Da war der Herr Walder ja auch da. Der hat immer dafür gesorgt, dass ich viel zu tun habe. Dieser blöde Grainer guckt mich mit dem Arsch nicht an.«
»Aber Elisabeth …«
»Ist doch wahr, Mama. Wahrscheinlich hat der was gegen mich, weil der Herr Walder mehr mit mir spricht als mit ihm.«
»Tut er das denn?« Papa wurde ernster.
»Tut wer was?«
»Spricht der Walder mehr mit dir als mit seinem Stellvertreter?«
»Na ja, auf jeden Fall nicht weniger. Das ist wenigstens ein Chef, der sich um einen kümmert. Auf den kann ich mich verlassen. Und der hat im Gegensatz zu diesem Gockel Grainer auch Ahnung vom Journalismus. Vielleicht sollte ich Walder mal anrufen und
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