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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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vermeintliche Rekordauflage einer der kleinsten Tageszeitungen Deutschlands, sondern um die Sanierung des Bundeshaushaltes.
    »Es wäre am besten, wenn wir verschwinden und in Ruhe über alles sprechen könnten«, sagte ich zu Elisabeth. »Aber die Zeit wird knapp. Wir müssen früher andrucken, weil die Auflage morgen fast drei Mal so hoch ist wie sonst.« Auch das hatte der alte Michelsen über Volkerts anordnen lassen. Zitat: »Ho len Sie aus dem Fall raus, was rauszuholen ist.«
    »Aber erzählen Sie mir erst einmal, was Sie herausgefunden haben, Elisabeth.«
    »Ich würde lieber gleich mit dem Schreiben anfangen, Herr Walder«, sagte sie und blätterte durch etwa vierzig, fünfzig eng beschriebene Seiten in einem blauen A4-Heft, auf das sie vorn nur »Henri« geschrieben hatte. »Geht das? Die Geschichte ist toll, das verspreche ich Ihnen. In einer Stunde haben Sie eine erste Fassung.«
    So lange wollte ich nicht warten.
    »Wie sind Sie in die Wohnung gekommen? Wie haben Sie die Mutter dazu gebracht, mit Ihnen zu sprechen? Warum hat sie das Kind ausgesetzt? Erzählen Sie, Elisabeth, erzählen Sie!«
    »Ich schreibe alles auf, Herr Walder, okay? Bis ins letzte Detail. Lassen Sie uns in einer Stunde darüber sprechen. Wo kann ich in Ruhe arbeiten?«
    Ich gab auf. Es war kurz nach eins, um spätestens 5 Uhr mussten alle Seiten in der Druckerei sein, und wir hatten so gut wie nichts fertig. Batz und Grainer stritten immer noch, Rita Bolzen hatte mir vier Motive des Hauses im Birkenweg hingelegt, von denen überraschenderweise alle scharf waren. Hinter den Fenstern sah man außer Gardinen nichts. Ich setzte Elisabeth an den Schreibtisch von Frau Schmidt, der auf dem Weg zur Anzeigenabteilung in einer ruhigen Ecke lag.
    »Wollen Sie etwas trinken?«
    Elisabeth hatte den Computer schon hochgefahren, loggte |175| sich ein. Sie hatte wieder kleine rote Flecken auf den braunen Wangen.
    »Nein danke, Herr Walder.« Sie klappte ihr Notizbuch auf. Auf den ersten Seiten war sogar der Rand beschrieben. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn in der ersten Zeile so etwas wie: »Guten Tag, mein Name ist Elisabeth Renner, ich komme von der Wützener Zeitung und habe gestern das ausgesetzte Baby vor der Redaktion gefunden« gestanden hätte. Frauen neigen dazu, vor allem an der Universität und als Journalistinnen, alles, was sie sagen oder was gesagt wird, mitzuschreiben. Männer machen sich nur Stichworte. Jetzt kam meins.
    »Dann ans Werk, Elisabeth«, sagte ich.
    »Bis nachher, Herr Walder.« Sie fing an.
    Ich ging zurück an meinen Schreibtisch. Elisabeth wusste nicht, dass ich von dort aus jedes Wort mitlesen konnte, das sie schrieb.

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    |176| SECHSUNDZWANZIG
    Es ist fast genau 24 Stunden her. Gestern um diese Zeit habe ich den kleinen Henri gefunden. Wahrscheinlich heißt er gar nicht so. Aber wir haben ihn so getauft. Wir, das sind die Ärzte, die das Baby untersucht haben, und ich, die beinahe über seinen Tragekorb gestolpert wäre. Vor 24 Stunden.
    Schöner Einstieg, bis auf die doppelte Betonung der vierundzwanzig Stunden. Ich hatte mir ein Glas Cola zero eingeschenkt, die Füße auf den Schreibtisch gelegt und Batz und Grainer gebeten, ihrerseits zurück an die Arbeit zu gehen. (Worauf Batz sich natürlich nicht verkneifen konnte zu sagen, dass das bei dem Kollegen Grainer ja das erste Mal in seiner Karriere wäre, dass er »an die Arbeit gehe«. Ich tat so, als hätte ich die Bemerkung genauso überhört wie Grainers »pass bloß auf, ich bin immer noch dein Vorgesetzter und habe mehr Preise gewonnen, als …«)
    Jetzt stehe ich vor dem Haus, in dem Henri heute eigentlich neben seiner Mutter im Bett liegen sollte. Ganz dicht an ihrer Brust, um die Wärme zu spüren und die Geräusche, die ihm in den Monaten der Schwangerschaft so vertraut geworden sind. Das Gebäude liegt in einer ruhigeren Gegend am Stadtrand. Roter Klinker, sechs Parteien, zwei kleine gepflegte Vorgärten. Am Klingelschild steht der Name, auf den wir heute Morgen einen Hinweis aus der Bevölkerung bekommen haben.
    Auch wenn sie ihre Oma als Kronzeugin nicht nennen wollte, was ich verstehen konnte: Der Satz musste noch hart redigiert werden. Schlimmes Polizeideutsch.
    Ich denke nicht lange nach und klingle einfach. Eine Freisprechanlage gibt es nicht. Entweder öffnet sie die Tür, oder ich klingle so lange, bis sie es tut. Ihre Wohnung scheint im zweiten Stock zu liegen, also ganz oben. Ich klingle noch mal. Und noch mal. Vielleicht
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