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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schläft sie noch. Vielleicht ist sie gar nicht da, hat die Stadt längst verlassen. In ihrem Briefkasten steckt ein Exemplar unserer Zeitung. Ausgerechnet. Der Summer. Die Tür geht auf. Die Kacheln im Treppenhaus haben den gleichen Farbton wie die Etiketten der Cola-Flaschen.
    Ich hatte das erste Glas schon leer.
    Ich schaue hoch, aber keiner guckt herunter. Ich gehe langsam die Treppe hinauf, um niemanden zu verschrecken. 14, 15, 16 … nach 45 Stufen bin ich da. Die Wohnungstür ist verschlossen. Ich will klingeln, klopfe aber lieber. Das ist persönlicher. Und signalisiert: Ich bin jetzt oben.
    »Wer ist da?«
    Ihre Stimme ist durch das dunkle Holz der Tür kaum zu vernehmen.
    »Mein Name ist Elisabeth Renner. Ich muss mit Ihnen reden.«
    »Was wollen Sie?«
    Was soll ich sagen? Ich kann nicht lügen.
    »Frau Meyer (Name geändert, Anm. d. Red.), ich habe Ihren Sohn gefunden.«
    Wahrscheinlich war die Wahrheit ihre einzige Chance. Ich wusste, dass sie reingekommen war, aber nicht, wie. Ich erfuhr es auch in den nächsten fünfzehn Minuten nicht. Der Text ging nicht weiter. Warum brauchte Elisabeth auf einmal so lange? Vielleicht sollte ich ihr doch helfen? Langsam ging ich zu Frau Schmidts Schreibtisch, pochte an die Stellwand, die ihn vom Rest des Raumes trennte. Elisabeth war nicht da. Erst als ich auf den Computer zuging, hörte ich ihre Stimme. Hinter mir. Sie war außer Atem.
    »Herr Walder, entschuldigen Sie, ich weiß, die Stunde ist fast um. Ich musste nur eben schnell mein Auto woanders hinstellen, die Parkuhr war abgelaufen. Aber ich kann Ihnen den Anfang der Geschichte schon einmal ausdrucken.«
    »Nicht nötig«, sagte ich generös. »Ich wollte nur einmal sehen, ob Sie Hilfe brauchen. Ich bin dann wieder hinten.«
    |178| Elisabeth schrieb endlich weiter.
    Ich höre, wie sie die Tür entriegelt. Dann steht sie vor mir. Eine junge Frau mit dem Gesicht eines kleinen Mädchens. Blonde Haare, mit einem roten Gummi zum Pferdeschwanz gebunden. Große, runde, blaue Augen, eine Nase, um die herum sie ein wenig weiß ist. Das gelbe T-Shirt hält dem Druck ihrer Brüste nur mit Mühe stand. Die sind so groß, dass das Oberteil nach unten wie die Öffnung eines Kleides fällt. Was sie noch trägt, kann ich erst sehen, als sie mir in die Wohnung vorausgeht. Einen grünen Faltenrock. Wie alt mag sie sein? Vielleicht 17, vielleicht 27. Wahrscheinlich wird sie immer ein kleines Mädchen bleiben.
    Seit sie die Tür geöffnet hat, hat sie kein Wort gesagt. Ich gehe trotzdem hinter ihr her, durch den schmalen Flur, von dem es rechts zur Küche abgeht, in das einzige Zimmer der Wohnung. Bett, Fernseher, kleiner Schminktisch, ein Schafwollteppich. In der Ecke liegt ein großer Haufen Windeln. Ich bin hier richtig. Sie setzt sich auf die Bettkante. Ich bleibe stehen. Es gibt nichts, auf das ich mich setzen könnte.
    »Wiegehtesihm?«
    Ihre Stimme ist piepsig, ihre Sprache schnell. Es klingt, als hätte sie Angst, das Ende des Satzes bei den ersten Worten zu vergessen. Sie überschlägt sich fast.
    »Istergesund? Wannhabensieihngefunden?«
    Jetzt guckt sie zum ersten Mal zu mir hoch. Das soll sie nicht. Ich hocke mich vor das Bett auf den Boden.
    »Es geht ihm gut. Er ist im Krankenhaus. Wir haben ihn Henri genannt.«
    »ErheißtClemens. Ich …«
    »Ja?«
    »Ichwolltedasnicht.«
    Mein Telefon klingelte. Eine Münchner Nummer. Will Michelsen die Auflage noch mal erhöhen? Jetzt nicht.
    »Wollen Sie mir alles erzählen?«
    »MussichjetztinsGefängnis?«
    |179|
»Ich glaube nicht. Ist doch alles gutgegangen. Aber ich weiß nicht, ob Sie Ihren Jungen so schnell wiederkriegen.«
    Sie sagt nichts, zieht die hellen Beine an ihr Kinn heran, soweit es die gigantischen Brüste zulassen. Die Brüste, an denen jetzt Henri liegen sollte. Ich meine Clemens.
    Was hatte sie nur mit den Brüsten? Weiter.
    »Ich habe Ihren Kleinen gefunden, weil ich für die Zeitung arbeite. Ich bin eine Reporterin.«
    Diese verdammte Ehrlichkeit. Elisabeth!
    »WollenSieübermichschreiben?«
    »Nur, wenn Sie nichts dagegen haben. Aber nun erzählen Sie erst einmal. Ganz in Ruhe. Ich habe Zeit.«
    Dann erzählte sie die Geschichte einer Praktikantin, die eine Affäre mit einem Vorgesetzten hatte. Ich nahm vor Schreck die Füße vom Tisch und drehte den Computer so, dass niemand außer mir den Bildschirm sehen konnte. Das durfte nicht wahr sein. Was musste Elisabeth in diesem Moment gedacht haben? Hatte sie die junge Mutter in den Arm genommen und gesagt:

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