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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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dem Ende meines Studiums eine Chance auf einen Arbeitsplatz. Auch wenn mich der Oberboss immer noch missachtete, hatte Herr Reinhardt mir ja Hoffnung auf eine Zukunft im Unternehmen gemacht. Und er kümmerte sich inzwischen fast rührend um mich.«
    Ob sie nicht Angst gehabt hätte, dass der Praktikantinnenbeauftragte für seinen Einsatz eine Gegenleistung erwartet, wollte Elisabeth wissen.
    »Nein, warum denn? Er hätte mein Vater sein können, war verheiratet,
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hatte, glaube ich, sogar zwei Kinder. Ich habe immer versucht, seinen privaten Fragen auszuweichen, und extra so getan, als hätte ich einen Freund, obwohl ich mich von dem schon anderthalb Jahre zuvor getrennt hatte.«
    Also durfte Herr Reinhardt mit seiner Praktikantin essen gehen. Natürlich nicht in einem der wenigen guten Restaurants in der Stadt. Sie fuhren gemeinsam in seinem weißen Audi A 6 in einen versteckt liegenden Landgasthof, in dem sie einen Tisch am Kamin für sich allein hatten.
    »Er erzählte dann noch mal, wie er zu seinem Job gekommen war und wie wichtig Menschen sind, die einem dabei helfen. Und er erklärte mir genau seine Pläne für mich. Der Oberboss würde wohl nicht mehr lange im Unternehmen bleiben, dann würde er mit hundertprozentiger Sicherheit sein Nachfolger werden. Er würde mir sofort eine Stelle verschaffen. Bis dahin könnte ich entweder mein Praktikum verlängern oder auf Honorarbasis für die Firma arbeiten. Das klang glaubwürdig, zumal ich den Oberboss in den vergangenen Tagen nur noch stundenweise im Betrieb gesehen hatte. Es ging das Gerücht, er würde vorzeitig in den Ruhestand gehen. Trotzdem war mir die Situation unangenehm. Ich saß da mit meinem Chef in einem ziemlich intimen und teuren Restaurant in einer Gegend, in der ich mich überhaupt nicht auskannte, und spürte, dass weder die Kollegen noch seine Frau etwas von dem Treffen wussten. Sein Handy hatte er ausgeschaltet. Können Sie verstehen, wie es mir da ging?«
    Ich befürchtete, Elisabeth konnte es verstehen. Aber zum Glück schrieb sie nichts davon. Ich durfte die E-Mail an sie auf keinen Fall vergessen. Der Text ging mit der einfachsten aller Journalistenfragen weiter.
    Und dann?
    »Dann fragte ich das Blödeste, was man in einer solchen Situation fragen kann: ›Herr Reinhardt, warum tun Sie das eigentlich alles für mich?‹ Es musste für ihn wie eine Aufforderung gewesen sein, mir endlich seine wahren Gefühle zu gestehen. Nur kurz
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sprach er noch von dem großen Talent, das er in mir sehe, und von den frischen, jungen Mitarbeitern, die die Firma dringend bräuchte. Dann beugte er sich weit zu mir herüber, schenkte mir etwas Rotwein nach, obwohl ich noch gar nichts getrunken hatte, und sagte: ›Außerdem haben Sie bestimmt auch schon gemerkt, dass zwischen uns etwas ganz Besonderes ist. Wir sind längst mehr als Chef und Praktikantin, das spüren Sie doch auch? Wir können gemeinsam in unserem Unternehmen viel verändern. Ich als die Nummer eins und Sie als meine direkte Assistentin.‹« Sie stockt. »Dann hat er mir mit seiner rechten Hand über die Wange gestreichelt. Ich konnte seinen Ehering spüren. Aber ich habe mich nicht gerührt. Ich habe nur dagesessen und es geschehen lassen.« Ja, erzählt Karin Meyer weiter, auf einmal sei ihr die Situation nicht einmal mehr unangenehm gewesen. Mit jedem weiteren Kompliment über ihre Ausstrahlung, Fröhlichkeit, über ihre Augen, Beine und ihren Geruch sei sie lockerer geworden. »Er bettelte geradezu um Beachtung, um ein kleines Zeichen von Zuneigung. Das gefiel mir. Da saß ein älterer, erfahrener Mann, ein Chef, vor mir, und ich hatte ihn in der Hand. Konnte mit ihm machen, was ich wollte. Und richtig hässlich war er ja auch nicht. Hatte noch einen guten Körper für sein Alter, nur einen kleinen Bauch, war immer modisch angezogen. Irgendwie tat es auf einmal gut, dass ein echter Mann mich umschwärmt. Nicht so ein Bubi wie mein letzter Freund.« Der war zwei Jahre jünger gewesen und hatte sie verlassen, weil sie ihm beim Sex ›nicht experimentierfreudig genug‹ gewesen war.«
    Das musste ich nachher rausstreichen. Wir waren immer noch eine Familienzeitung. Der nächste Absatz kam. Elisabeth schien zu merken, dass die Geschichte zu lang wurde und sie allmählich gestrafft werden musste.
    In dieser Stimmung fängt Karin Meyer dann doch an zu trinken. In schnellen, schweren Schlucken leert sie das erste Glas Rotwein, dann das zweite, das dritte. Herr Reinhardt bestellt eine

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