Die Praktikantin
Zeitung.«
Batz hatte vor lauter Aufregung die Sitzung seines Ortsvereins vergessen. Volkerts schickte mir eine Mail: »Wenn sich die Ausgabe morgen genauso gut verkauft wie heute, könnte die |191| Auflage Ihrer kleinen Zeitung zum ersten Mal seit sechs Jahren in einem Quartal wieder steigen. Geht doch.« Er schätzte, um eins Komma zwei bis eins Komma fünf Prozent.
Das hatten wir Elisabeth zu verdanken. Ich beschloss, ihr für die Geschichte der Mutter 400 Euro zu überweisen. Es wurden 300, immerhin.
»Entschuldigen Sie …«
Ich war gerade dabei, aus Elisabeths Text die wichtigsten Passagen zu einer weiteren Meldung zusammenzuschreiben, die an alle Nachrichtenagenturen, an Radio- und TV-Sender rausgehen sollte und die
Wützener Zeitung
hoffentlich in die
Tagesthemen
bringen würde, als plötzlich eine große Frau mit langen blonden Haaren vor mir stand. Sie sah aus wie diese Nicole, die Mitte der neunziger Jahre eine der nachmittäglichen Talksendungen im Fernsehen moderiert hatte. Ihr Lächeln war umwerfend.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe, aber im ganzen Haus scheint sonst niemand mehr zu sein …«
Ich sah mich um und merkte erst jetzt, dass ich allein war. Ich hatte mir vorgenommen, die Kollegen an diesem Abend auf ein paar Flaschen Prosecco einzuladen und diese heimlich vom
Bistro Bianco
anliefern zu lassen. Doch es war niemand mehr da, mit dem ich sie hätte trinken können.
»… aber vielleicht können Sie mir helfen.«
Ich musste mich mal auf die Doppelgängerin von Nicole am Nachmittag, so hieß die Sendung damals, konzentrieren.
»Bestimmt. Was kann ich für Sie tun? Sind Sie von einem Radiosender?«
Sie guckte irritiert.
»Nein, ich bin eine Freundin von Elisabeth Renner und war eigentlich vor einer halben Stunde mit ihr am Bahnhof verabredet. Aber sie ist nicht gekommen, und da dachte ich, vielleicht muss sie länger arbeiten.«
»Das musste sie wirklich. Haben Sie denn nichts von dem Fall |192| des kleinen Henri gehört, der eigentlich Clemens heißt und den Elisabeth …«
Jetzt starrte Nicole am Nachmittag mich an wie einen Angler, der aus dem Wützener See einen Pottwal zieht. Ich brach meine Erklärungen ab.
»Kommen Sie, sie müsste noch dort hinten sein, hinter der Trennwand. Sie hatte heute wirklich viel zu tun, und sie hat es sehr gut gemacht.«
Ich ging voraus, schaute kurz um die Ecke, sah Elisabeth, die sich ihren Text auf den ausgedruckten Seiten noch einmal durchlas, und machte Nicole am Nachmittag ein Zeichen, neben mich zu kommen.
»Ähm«, ich räusperte mich, »Sie haben Besuch, Eli…, Frau Renner.«
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|193| SIEBENUNDZWANZIG
Ich hatte Sonja völlig vergessen. Sie war die Erste gewesen, die ich nach meiner überstürzten Ankunft in Deutschland angerufen und der ich vom Drama mit Martin erzählt hatte. Sie hatte versprochen, so schnell wie möglich nach Wützen zu kommen, um mich zu trösten. Nun war sie da, hatte eine wichtige Lesereise mit einem Deutschen verschoben, der ein Jahr lang in Dharamsala als Berater des Dalai Lama gelebt und darüber ein Buch geschrieben hatte – und was machte ich? Ich vergaß, sie vom Bahnhof abzuholen. Clemens war schuld, aber das konnte sie nicht wissen, weil wir über den Fall noch gar nicht gesprochen hatten.
»Sonja.«
»Elisabeth, ich …«
»Es tut mir leid, hier ist in den vergangenen achtundvierzig Stunden so viel passiert, da habe ich überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass du heute ankommst.«
»Wie, es ist noch mehr passiert als die Sache mit Martin? Du Arme, erst…«
Erst jetzt registrierte ich, dass Walder noch an der Trennwand stand. Ich unterbrach Sonja, bevor sie irgendwelche Mallorca-Details ausplaudern konnte.
»Bevor meine gute Erziehung völlig hinüber ist, muss ich dir wenigstens meinen Chef vorstellen. Das ist Herr Walder, Sonja, der Chefredakteur der Wützener Zeitung. Herr Walder, das ist Sonja Zierow, eine meiner besten Freundinnen.«
Hoffentlich sagte sie jetzt nicht: »Ach, Sie sind das« und: »Von Ihnen habe ich schon viel gehört.«
»Ach, Sie sind das«, sagte Sonja, und, natürlich: »Von Ihnen habe ich schon viel gehört.«
|194| Und ich war mir sicher, Walder würde sich nicht entblöden, mit: »Ich hoffe, nur Gutes« zu antworten.
»Ich hoffe, nicht nur Schlechtes«, sagte er jedoch, sah verlegen und irgendwie ganz süß zu Boden, um uns dann zu einem Glas Prosecco einzuladen.
»Ich habe zwei Kisten bestellt, weil ich heute Abend der Redaktion für die Arbeit in
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