Die Praktikantin
den turbulenten letzten Tagen danken wollte. Wie Sie sehen, sind zwar alle schon weg«, wir waren wieder in den Großraum gegangen, »aber die Hauptperson ist ja zum Glück noch da.«
Er öffnete eine Flasche, holte drei Gläser von einem vorbereiteten Tablett und schenkte uns ein.
»Elisabeth, das haben Sie wirklich großartig gemacht. Vielen Dank für Ihren tollen Einsatz.«
Sonja sah mich fragend von der Seite an und grinste frech. Ich stieß mit Walder, dann mit ihr an und fühlte mich zum ersten Mal seit dem Abflug aus Mallorca wieder richtig gut. Ich leerte das Glas in einem Zug, während Walder Sonja einen Ausdruck der Titelseite in die Hand drückte, auf der unter der Schlagzeile in 12-Punkt mein Name zu lesen war.
»Damit Sie wissen, was wir hier feiern«, sagte er zu ihr, zwinkerte mir mit dem linken Auge zu und schenkte Prosecco nach. Wurde ich rot? Ich trank, Sonja las, und Walder strahlte mich an, als hätte ich heute nicht das Rätsel um ein ausgesetztes Baby, sondern den Mord an John F. Kennedy gelöst. Ein seltsamer Moment, aber er fühlte sich gut an. Als Walder mir zuprostete, wirkten seine Hände gar nicht mehr so klein.
Eine halbe Stunde später saßen Sonja und ich auf der Terrasse meines Elternhauses. Ich hatte kurz überlegt, ob wir gemeinsam mit Walder etwas essen gehen sollten, und dann beschlossen, dass es zu viel gab, was ich mit Sonja allein besprechen musste. Wir hatten die Proseccoflasche ausgetrunken und ihn allein in der Redaktion zurückgelassen. Irgendwie tat er mir leid.
»Das war also der berühmte Herr Walder, der Chef, dem die |195| Praktikantinnen vertrauen«, hatte Sonja gesagt, kaum dass wir die Redaktion verlassen hatten.
»Pst, nicht so laut, der kann uns bestimmt noch hören.«
»Quatsch, was du immer denkst. Den hast du mir aber ganz anders beschrieben, Engelchen. Von wegen kleine Hände und so blass und gar kein richtiger Mann und so. Also, ich würde den jetzt nicht direkt von der Bettkante schubsen …«
»Sonja, nicht so laut, bitte. Warte wenigstens, bis wir im Auto sind.«
Während der Fahrt nach Hause hatte meine angeblich beste Freundin (»Wieso hast du eigentlich dem Walder gesagt, ich sei nur EINE deiner besten Freundinnen. Frechheit! Oder haben noch andere alles stehen- und liegengelassen, um zu dir zu kommen und dich aufzumuntern?«) mich mehr über meinen Chef gefragt, als ich über ihn wusste. Selbst jetzt, auf der Terrasse, gab sie keine Ruhe.
»Nachdem ich ihn kennengelernt habe, glaube ich dir nicht mehr, dass du dich mit dem nur abgegeben hast, weil er dir vielleicht einen Job besorgen kann. Elisabeth, das ist doch echt ein sehr sympathischer und gutaussehender Mann …«
So hatte ich Walder bisher nie gesehen. Für mich war er einfach nur ein kompetenter, aufmerksamer Chef. Als Mann hatte er mich so sehr interessiert wie einen katholischen Priester eine heiratswillige Jungfrau. Was aber weniger an ihm selbst als an mir lag. Wenn ich in einer festen Beziehung war, gab es für mich grundsätzlich nur einen Mann. Allein den Gedanken an einen anderen betrachtete ich schon als Betrug. Das sagte ich Sonja. Sie blickte mich über ihr Rotweinglas ernst an.
»Du bist wirklich einmal eine Frau mit Prinzipien, Kleine. Aber jetzt«, sie kicherte in den Wein hinein, »bist du nicht mehr in einer Beziehung und hast einen Verehrer, den zumindest deine alte Freundin Sonja nicht zu lange zappeln lassen würde.«
»Wieso überhaupt Verehrer? Walder verehrt mich nun wirklich nicht, der hat damals nur einmal über die Stränge geschlagen, |196| weil er zu viel getrunken hatte und vielleicht etwas einsam war …«
»Jetzt verteidigst du ihn ja sogar. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, da gehörte dein Chef für dich zu den größten Sexualverbrechern des Landes, weil er sich dir einmal für eine Millisekunde im Auto genähert hat.«
Den Vorfall hatte ich dank Martins Auftritt und der Geschichte des Herrn Reinhardt wirklich vergessen. Im Vergleich mit den beiden war Walder der Lordsiegelbewahrer von Anstand und Moral. Und einer, der es verstand, sich für seine Fehlgriffe aufrichtig zu entschuldigen. Martin hatte mir nur eine E-Mail geschrieben, in der stand, dass »so etwas wie mit der Beatrice« nie wieder vorkommen würde, dass sie ihn heimtückisch verführt und zum Oralsex praktisch gezwungen und er sie deshalb jetzt entlassen hätte. Ich hatte meinen Eltern die Mail gezeigt und konnte meinen Vater nur knapp davon abhalten, zusammen mit meinem
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