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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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Pferd hin und her gelaufen, bis der Gott sie überwältigte. Dann, so heißt es, sei die Macht wie ein großer Wind durch die Grotte gefegt, alle Tore seien aufgeflogen und hätten ihre Worte den wartenden Männern zugetragen.«
    »Hundert Tore, so steht es doch bei Vergil, nicht wahr?«, fragte ich.
    »Es sind nicht ganz so viele, aber es gibt überall Öffnungen«, antwortete die Frau lächelnd. »Komm, dann kannst du es sehen.«
    Sie hob den Riegel, hielt einen Holzspan an die Lampe, die am Eingang brannte, und zündete damit eine Fackel an. Sie zog die Tür auf. Jetzt sah ich, dass es keine natürliche Grotte war, sondern ein Durchgang, den man in das Gestein geschlagen hatte. Rechter Hand befanden sich eine Reihe von Nischen, die auf den Berghang hinausgingen. Durch ihre verschlossenen Öffnungen drang ein wenig Licht.
    Zur Linken floss Wasser durch eine lange Rinne. Als wir weitergingen, glitzerte das flackernde Licht der Fackel auf dem Wasser, und eigenartige Schatten tanzten über den staubigen Boden. Nach der Helligkeit und der Hitze draußen erschien die Luft hier drinnen feucht und kühl. Es war sehr still.
    Apollon mochte zwar nicht anwesend sein, dachte ich, doch ich spürte eine andere Art von Macht, die im schweigenden Gestein wartete. War es wirklich Apollon, der einst durch das Orakel hier gesprochen hatte, fragte ich mich, oder hatte Vergil, als er sein Werk fünfhundert Jahre nach dem Weggang der letzten Seherin von Cumae geschrieben hatte, einfach angenommen, sie habe dem Gott gedient, der die meisten anderen Orakel im Mittelmeerraum übernommen hatte? Ich versuchte mit einem lange Zeit ungenutzten Sinn zu spüren, ob die Kraft, die einst hier gehaust hatte, noch genug Klarheit behalten hatte, um zu antworten.
    Zwischen zwei Atemzügen merkte ich, wie mein Bewusstsein auf vertraute Weise eintauchte und sich verschob, womit sich der Trancezustand ankündigte. Cunoarda packte mich am Ellbogen, als ich taumelte, doch ich schüttelte den Kopf und deutete auf die dunkle Nische am Ende des Tunnels.
    »Ja, da soll die Seherin gesessen haben, wenn sie ihre Antworten gab«, sagte die Priesterin. »Wir wissen nicht, worauf sie saß, aber wir haben dort immer einen dreibeinigen Schemel stehen, so wie man ihn in Delphi hat.«
    Ich trat vor und hatte das Gefühl, dass meine Füße kaum den Boden berührten, doch der dreibeinige Schemel am Ende des Durchgangs schien von innen heraus zu leuchten. Jahrhundertealter Glaube hat ihn geheiligt , dachte ich.
    »Ich will mich dort hinsetzen«, sagte ich mit einer Stimme, die mir selbst fremd klang. Ich zog das Armband vom anderen Handgelenk und bot es der Priesterin an. Im ersten Moment war sie verblüfft und schaute nervös auf den Schemel, doch das hier war nicht der Tempel ihres Gottes, den sie gegen jedes nur mögliche Sakrileg hätte verteidigen müssen. Es war deutlich, dass sie die Macht nicht spürte, die mich schwindelig machte.
    Zitternd sank ich auf den dreibeinigen Hocker, mein Schleier rutschte herunter, und ich saß barhäuptig da. Diese Haltung weckte längst verdrängte Erinnerungen; das Zittern verwandelte sich in heftige Zuckungen, als mein Körper versuchte, sich dem Zustrom der Macht anzugleichen.
    »Herrin, ist dir nicht wohl?«, rief Cunoarda und streckte die Arme nach mir aus, doch die Priesterin hielt sie davon ab, und mit dem Teil meines Verstandes, der noch mir gehörte, bemerkte ich erleichtert, dass die Frau, obwohl sie keine Seherin war, genug Übung hatte, um zu erkennen, was mit mir geschah.
    »Berühre sie nicht«, warnte sie. »Das ist alles höchst ungewöhnlich. Sie hätte mir sagen sollen, dass sie die Gabe besitzt, dann hätte ich Vorsichtsmaßnahmen treffen können, aber dazu ist es jetzt zu spät.«
    Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, den ich jedoch rasch wieder verdrängte: Mir selbst war ja nicht bewusst, dass die Fähigkeit zur Trance, die mir vor so langer Zeit beigebracht worden war, an dieser Stelle so schnell erwachen würde.
    » Tochter, willst du mich nun hereinlassen? «, fragte eine innere Stimme, und mit einem langen Seufzer ließ ich mich in die leuchtende Dunkelheit wie in die liebevolle Umarmung einer Mutter fallen.
    Vage wurde ich mir bewusst, dass mein Körper sich aufgerichtet, dass mein Haar sich aus den Spangen gelöst hatte. Meine Arme breiteten sich aus, die Finger spannten sich, als entdeckte eine Wesenheit aufs Neue, wie es ist, aus Fleisch und Blut zu sein. Es tat mir nur Leid, dass ich ihr

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