Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Griff
und
Klinge. Was hat das zu bedeuten? Er ist genauso reich verziert. Ein Mann, der so etwas trägt, ist entweder ein Dieb oder ein Würdenträger.«
»Ihr beschuldigt mich?«
»Ich will nur die Wahrheit wissen. Es wird schwer genug, das Vertrauen der Redarier zu erlangen. Wenn wir in Begleitung eines Diebes dort ankommen, womöglich eines Diebes, den sie kennen und verstoßen haben, beginnt unsere Mission mit einer Katastrophe.«
»Ich bin kein Dieb. Trotzdem ist jede Hoffnung, die Ihr hegt, in Rethra Euren Glauben verkünden zu dürfen, Irrsinn.« Er wendete sich an Alena. »Es gibt ein Bildnis Svarožićs dort, nicht wahr?«
Sie nickte.
Grimmig knurrte Uvelan: »Wollt Ihr es mit einem Tuch behängen, während Ihr den Leuten Christus predigt?«
»Schon Bonifaz hat bei den Hessen eine Götzeneiche gefällt und daraus eine Kirche bauen lassen.«
Uvelan ächzte. Das Blut wich aus seinem Gesicht. Still schüttelte er den Kopf.
»Was ist?«
Es war mehr ein tonloses Stöhnen als ein Sprechen. »Er hat den Wohnplatz mächtiger Geister entweiht und zerstört? Die Strafe wird maßlos gewesen sein.«
»Gott ist nicht in den Bäumen. Er ist hier. Hier!« Tietgaud zeigte neben den Totenstein.
Kurz zuckte der Alte zusammen. Dann dröhnte er:»Wollt Ihr wissen, warum ich das Messer und den Armreif und die Binde trage? Ich bin ein Priester. Genau wie ihr.«
Stille. Wolfsheulen in der Ferne. Schließlich wisperte Alena: »Er spricht die Wahrheit. Das Stirnband ist eine Priesterbinde.«
»Deshalb die Schlange«, raunte Audulf. »Er ist ein Schlangenbeschwörer.«
Brun flüsterte: »Mit dem Messer opfert er Jungfrauen.«
»Nun weiß ich auch, warum Euch die Wölfe nichts anhaben konnten«, sagte der Hüne. »Ihr seid ein Hexer.«
»Habt Ihr sie gerufen?« Audulf sah beinahe mit Ehrfurcht zu ihm hinauf. »Könnt Ihr das?«
»Ich rufe keine Wölfe. Und ich opfere auch keine Jungfrauen. Das ist es nicht, was Svarogh gefällt.«
Alena preßte die Lippen aufeinander. Ihre Stirn legte sich in Falten. »Sv… Dieser Gott ist verboten«, sagte sie in slawischer Sprache. »Du kannst nicht sein Priester sein. Niemand darf zu ihm beten.«
»Ja. Weil dein Vater es verhindert.« Er wechselte in die fränkische Sprache zurück. »Alles kehrt wieder. Winter und Sommer wechseln sich ab, Ernte und Saat, Tod und Geburt. Eine Forelle wird vom Bären gefressen, und neue Forellen schlüpfen im Kies. Kriege wechseln sich mit Friedenszeiten ab, Dürre mit Jahren, in denen die Felder reichliche Ernte tragen. So hat es Svarogh geschaffen, das sind die Gesetze, die er gegeben hat. Und auch Svarogh wird zurückkehren. Die Zeit ist reif.«
»Und dann wieder verschwinden und dann wieder erscheinen und dann wieder verschwinden? Das ist Unsinn. Ständige Wiederkehr ist eine bloße Täuschung.« Tietgaud stach mit dem Zeigefinger ein Loch in die Luft. »Die Zeit hat einen Anfang.« Er zog ihn in einer langen Geraden herüber. »Und sie läuft voran, auf ihr Ende zu.« Wieder stach er ein Loch. »Die Menschen werden schlecht, böswillig. Es dauert nicht mehr lange, merkt Ihr das nicht? Fällt Euch nicht auf, daß da immer mehr Murren ist, daß in diesenZeiten viel weniger gelächelt wird? Habt Ihr nicht bemerkt, wie die Liebe nachläßt, die Wärme, Zärtlichkeiten und Geschenke, Freude und Kinderlachen? Es wird noch schlimmer werden. Eines Tages werden die Menschen sich nicht einmal mehr anschauen, wenn sie sich begegnen. Sie werden nur noch an das Töten denken und an ihren Gewinn. Der Haß wird sie in seinen kalten Krallen halten. Der Haß und die Gleichgültigkeit. Aber Christus hat Nächstenliebe gelehrt. Er sieht sich unsere Fehler nicht mehr lange an. Auch seine Geduld hat ein Ende. Daß er überhaupt so lange gewartet hat, sollte uns Grund zur Dankbarkeit sein, weil er uns Zeit gegeben hat, zu ihm zurückzufinden! Es kommt der Tag, an dem er die Endlichkeit auflöst. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Geschrei, keinen Krieg, keine Krankheit, keine Verletzungen. Das ewige Reich wird er aufrichten. Ein für allemal. Und es wird gut sein. Voller Lachen und Freude, voller Anbetung und Herrlichkeit und Kraft.«
»Das willst du in Rethra predigen?«
Tietgaud wich dem Blick des Alten nicht aus. »Das. Und einiges mehr.«
»Du bist ein mutiger Mann.«
21. Kapitel
Sie überquerten die Warnow an der Königsfurt und durchwanderten das Gebiet der Warnower mit seinen Seen und tiefen Wäldern. Ohne Deckung folgten sie inzwischen
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