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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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nicht zu fürchten. Gern hätte sie ihn an sich gezogen, um einen Halt zu haben, um einen Zipfel seiner Ruhe zu erhaschen.
    »Es war unsere Aufgabe, die Kinder des Redariervolkes in Svaroghs Hain zu vermählen, Schutz und Fruchtbarkeit für sie zu erflehen, ihnen Kraft für den Kampf zu geben. Wir haben sie geheilt, haben ihre Brüche geschient, ihr Blut gereinigt. Weiß dein Vater, den Schmerz aus einem Schädel zu befreien, indem er ihn öffnet und wieder zuwachsen läßt?«
    »Me… mein Vater?«
    »Nevopor. Weiß er die Kraft einzusetzen, die in den Früchten des Spindelbaumes schlummert? Kennt er die heilenden Geheimnisse des Wiesenknöterichs, die Macht der Malve? Weiß er, Salben herzustellen aus dem zäh tropfenden Pech?«
    »Ich denke nicht.«
    »Die Zeiten haben sich geändert, fürchte ich.« Der Priester sank langsam auf die Knie. Er ächzte dabei wie einer, der nach einem beschwerlichen Tag vom Feld nach Hause kommt und sich am Ofen niederläßt. Neben dem Jungen kauernd, sagte er: »Dort, wo die Wolken die Farbe von schmutziger Milch haben und ihre Bäuche zur Erde herabhängen lassen. Dort regnet es.«
    »Ja«, raunte Kitan. »Ich kann den Regen sehen.«
    Der Wald verströmte einen Geruch, der Alena das Haus des Böttchers in Rethras Vorburg vor Augen rief. Ein schiefes Vordach, nahe beim Stall, und dort die holzige Nässe, die aus den langen Becken aufstieg, in denen die Dauben für Tonnen und Eimer einweichten. Ein kantiger, harziger Geruch, der sich mit dem strengen Duft von Pferdemist mischte, wenn die Stalltür offenstand.
    Plötzlich erschien ihr der Alte nicht mehr als fremd. Vielleicht verkörperte er wirklich das Ende einer starken Zeit, und womöglich trug er Schuld daran; die Schuld trug er mit sich wie einen schweren Stein. »Warum gibt es den Hain nicht mehr?« fragte sie. »Ich hätte davon hören müssen.«
    »Es war ein Kampf zwischen den heiligen Bäumen und Quellen, den Opferplätzen im Wald – und Rethra. Viele haben protestiert, als man in Rethra einen Tempel errichtete. Rethra gewann.«
    »Es ist nicht allein Rethras Schuld, nicht wahr?«
    »Nein. Ich war schwach. In meiner Grausamkeit war ich schwach. Nevopor hat nur den besten Zeitpunkt zu nutzen gewußt. Meinen Vater achtete das Volk als Botschafter der Götter. Als er tot war und als auch mein Bruder starb, erkannte Nevopor die Gunst der Stunde.«
    »Warum willst du nach Rethra? Ich meine, warum reist du mit uns? Es muß dich schmerzen, die große Tempelburg zu sehen, die deinen Hain abgelöst hat.«
    »Es gibt einen Grund, weshalb mich Svarogh noch nicht sterben lassen hat. Er hat die Macht, zurückzukehren und dieses Hirngespinst Svarožić hinwegzufegen, wie ein Herbststurm die letzten Blätter von den Bäumen pflückt. Das wird er schwerlich tun durch einen Greis wie mich. Aber vielleicht ist es … Ein Gott geht nicht, wenn die Menschen es wünschen. Er geht, wenn er so entscheidet. Und wenn er das Redariervolk verläßt, dann verabschiedet er sich gebührlich.«
    Alenas Hals zog sich zusammen. »Du hast kein Recht dazu! Kein Recht, meinen Vater zu strafen, nur weil das Volk nach Rethra strömt und nicht zu den Waldheiligtümern. Und es wird dir nicht gelingen. Er ist stärker, als du meinst.«
    »Ich weiß«, hauchte der Alte. »Ich weiß.« Er schwieg eine Weile. »Du liebst Embricho, obwohl dir bewußt ist, daß dein Vater keinen der Franken am Leben lassen wird, wenn wir Rethra erreichen. Warum?«
    »Ich … Vater wird …« Der See bebte, wischte zu den Seiten, polterte auf und ab. Alena mußte die Augen schließen.
    »Verstehst du? Es ist der Glaube, daß nicht immer das geschieht, was geschehen müßte. Ich fordere Svarogh auf, ein letztes Mal in einem Leben zu handeln. Tut er es, wird Nevopors Frevel brechen wie dünnes Eis.«
    »Warum sagst du mir das? Ich werde meinen Vater warnen.«
    »Nein. Du wirst ihn nicht warnen, sondern mir helfen. Bald erkennst du, daß ich im Recht bin, und wendest dich voller Haß von deinem Vater ab.«
    »Niemals!«
    Der Alte lächelte bitter. »Leider kann ich dir das nicht ersparen.«
    Hinter ihnen erschollen Schreie. Eine Stimme, die das Endgültige eines Todesurteils in sich trug, rief: »Wo ist mein Sohn?«
    »Vater«, wisperte Kitan und klammerte sich an Alenas regennasse Rockfalten.
    »Der Dreiköpfige stehe uns bei.« Sie griff den Jungen bei der Hand und zog ihn mit sich. »Schnell!«
    Kampfgeräusche rollten den Hang herunter: Ächzen und Brüllen, lautes Fußscharren im

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