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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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als der Hüne ihn anfuhr.
    Der Nieselregen wogte auf den See herunter, gewölbte Tücher, die vom Himmel bis zum Wasser reichten. Kleine Kreise waren auf der Oberfläche des Sees zu sehen, unzählig.
    Vorsichtige Schritte. Flach atmen. Die Füße nur langsam, zögerlich in das Laub einsinken lassen, prüfen, ob ein Ast darunter verborgen ist, der knacken könnte. Alena schlich sich heran. Sie vernahm die Stimme des Priesters, konnte bald auch einzelne Worte verstehen: »Kranich … fängt sie … Ruf …« Endlich stand sie dicht genug hinter den beiden, um alles zu hören.
    »Siehst du die größeren Ringe im Wasser dort hinten?« Uvelan hob den Arm, wies zum See hinaus.
    »Ja. Was ist das? Sind da große Tropfen heruntergefallen?«
    »Nein. Dort haben Fische nach dem feinen Schauer geschnappt.«
    »Aber warum?« Der Junge klang andächtig, ruhig.
    Er hatte keine Angst. Gut.
    »Sie denken, ein Insekt ist auf das Wasser gefallen.«
    »Dabei ist es nur Wasser. Erzählst du weiter vom Kranich? Oder noch besser, von den Bäumen?«
    »Svarogh läßt zuerst die Blüten sprießen, damit Bienen und Hummeln sie finden können. Erst dann, wenn der Baum befruchtet ist durch das fleißige Summen und Fliegen der Tiere, stoßen die Blätter durch das Holz.«
    »Neue Blätter, meinst du? Die stoßen durch das Holz?«
    »Ja, im Frühjahr. Das hast du sicher schon beobachtet. Die Blätter kommen aus den Zweigen heraus, obwohl das Holz wie tot aussieht.«
    »Und zuerst kommen die Blüten, weil die Blätter sie sonst verbergen würden?«
    »So hätten die Tiere keine Nahrung und die Bäume keine Frucht.«
    »Weil die Blüten hinter den Blättern nicht zu sehen wären. Das … hat sich Svarogh ausgedacht?«
    »Ja. Alles gibt uns Svarogh durch die Erde. Die Salzsieder schöpfen aus den Salzquellen, die Stellmacher formen das Holz der Bäume zu Rädern und Schlittenkufen, in jedem Hof werden Tonkrüge gebrannt aus dem, was Svarogh in die Erde gelegt hat. Selbst das Eisen gibt er uns. Hast du schon einmal einen Erzklumpen gefunden, der dann vom Schmied –« Uvelan brach ab. »Komm zu uns, Priestertochter.«
    Er hatte sie nicht gesehen, er konnte nicht –
    Uvelan wiederholte: »Komm zu uns, Priestertochter.« Er hob einladend den Arm, der auf Kitans Schultern gelegen hatte, ohne sich dabei umzuwenden.
    Das Blut schoß Alena ins Gesicht. Woher wußte er, daßsie hinter ihnen stand? Dann traf es sie wie ein Fausthieb in der Magengegend. Wußte er auch vom Menschenopfer? Wußte er, warum sie die Franken ursprünglich nach Rethra hatte führen wollen? Alena keuchte. Sie bekam plötzlich keine Luft mehr. Die Träume in der Nacht …
    Da war die Stimme des Priesters erneut, warm, weich. »Komm zu uns.«
    Zögerlich trat sie näher.
    Kaum hatte sie sich neben Kitan gestellt, ergriff Uvelan ihre Hand und legte sie dem Jungen um die Schulter.
    Hatte er ihren Namen nicht schon bei ihrer ersten Begegnung ausgesprochen? Nein, es war der Name ihres Vaters gewesen. Wie hatte sie die Ehrfurcht vergessen können, die damals Besitz von ihr ergriffen hatte! Es war unklug gewesen, den ersten Empfindungen später zu mißtrauen. Vielleicht hatte sie mit dem Waldherrscher falsch gelegen, aber er war Priester, und er mußte eine starke Verbindung zu den Göttern haben. »Du bist Priester. Verkündet dir Sv… Svarogh seinen Willen? Verkündet er dir Wissen über mich? Woher wußtest du damals … Du kennst mich, nicht wahr?«
    Sie sahen sich nicht an. Alle drei blicken sie auf den grauen See hinaus.
    »Ich bin nichts als ein einfacher Mensch.«
    »Aber du trägst die Priesterbinde. Außerdem eine silberne Schlange am Arm und ein bronzenes Opfermesser. Du bist kein einfacher Mensch.«
    »Nein? Dann bin ich schwächer als das. Als damals mein Vater verbrannt wurde, schwand die Stärke meiner Familie. Der Widerschein des Feuers auf den Gesichtern der Menschen – es war, als würden sie die Flammen mit ihren Blicken entfachen, als würden sie ihn erst wirklich töten. Er war alt geworden, es war niemandes Schuld, daß er starb, aber diese Blicke … Sie sahen zu, wie er zu Asche zerfiel auf dem Holzhaufen, gafften mit gespielter Würde. Sie sahen zu, und damit töteten sie ihn. Mein Vater war ein starker Mann. Ich bin es nicht. Es ist, als wäre die Kraft mitihm in die Unterwelt entwichen. Hast du je in einem heiligen Hain geopfert?«
    »Nein.« Sie erschauderte. Die warme Schulter des Jungen hob und senkte sich gleichmäßig unter ihrer Hand. Er schien sich

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