Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Kapitel
Leises Säuseln zog durch das Schilf. Die Halme flüsterten. Ruhig lag der See, wellenlos, nur ein zartes Lichtspiel glänzte darauf. Uvelan erklomm einen großen Stein am Ufer und setzte sich. Ein Bein schlug er unter, das andere ließ er am Stein hinabhängen. Nichts hatte sich verändert hier. Teichhühner riefen ihr sanftes
Kurr
, nickten beim Schwimmen mit den Köpfen, über dem Schnabel die rote Stirnblesse, die sie ein wenig schüchtern erscheinen ließ, als sei ihnen bewußt, daß sie einen bedeutsamen Ort bewohnten. Wieder das Säuseln, der leichte Wind.
»Wundert ihr euch, Vily?« sagte Uvelan, zu den wogenden Schilfhalmen gewandt. »Erkennt ihr mich nicht mehr? Ich bin alt geworden.«
Er löste den Gürtel und zog sich die abgewetzten Kleider vom Leib. Das Messer, die Schere, den Lederbeutel – alles wickelte er in den Rock ein und schob ihn in die Mitte des Steines. Dann kletterte er auf der Seeseite hinunter und glitt ins Wasser. Langsam und andächtig waren seine Bewegungen. Er spielte nicht, schlug keine Wogen. Mit ernstem Gesicht tauchte er unter. Das kalte Wasser biß in die Haut, trotzdem wusch er sich gründlich, rieb über die Arme, den Nacken, die Brust. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haarmähne und zerrte Kletten heraus, kleine Zweige und Blattstückchen. Genauso kämmte er seinen Bart. Immer wieder warf er sich mit hohlen Händen Wasser ins Gesicht, bis er keinen Schmutz mehr fühlen konnte.
Ein Haubentaucher hielt sich in scheuer Entfernung am anderen Ende des Sees. Er beobachtete schweigend, wie sich Uvelan wusch; weise blickten die Vogelaugenüber dem rostbraun eingefärbten Backenbart zu ihm herüber.
Als Uvelan wieder ans Ufer kletterte, zitterten seine Beine. Ohne es zu beachten, zog er sich an. Er setzte sich auf den Stein, nahm Alenas Schere und schnitt sich die Fingernägel. Jedes Körnchen Dreck entfernte er unter den gekürzten Nägeln, bis sie weiß waren wie Schwanenfedern.
Nachdem er die Schere weggelegt hatte, öffnete er den brüchigen Lederbeutel und zog den Schlangenarmreif heraus. An der Wasserfläche des Sees kniete er sich nieder und reinigte die Schlange, bis das weiße Silber frei von Verunreinigungen war und jeder dunkle Fleck aus den Mustern wich, die den Schlangenkörper bedeckten. Indem er es durch einen Rockzipfel zog, rieb er das Schmuckstück trocken. Dann schob er sich die Schlange über die linke Hand. Sie schmiegte sich wie ein lebendes Tier um seinen Unterarm, der Schwanz auf der Außenseite des Armes, der Kopf an das innere Handgelenk gelehnt.
Erneut griff er in den Lederbeutel. Er löste das rotsilberne Messer aus der Scheide und tauchte es wie die Schlange ins Wasser, um es zu waschen. Hell blinkten die Reihen feiner Dreiecke auf dem Griff, und die Symbole im Zentrum, die kreuzförmigen Blüten, warfen Lichtmuster auf den Sandboden unter der Wasserfläche. Uvelan wischte das Bronzemesser trocken, schob es zurück in die Scheide und befestigte es an seinem Gürtel.
Schließlich erhob er sich und blickte über den See hinweg in den dahinterliegenden Wald. Ohne daß er zum Beutel sah, langten seine Hände hinein und zogen das Stirnband heraus. Das grüne, mit weißen Stickereien verzierte Leinen legte er um seine Stirn und verknotete es am Hinterkopf. Er hielt die Lippen geschlossen, atmete tief und ruhig. Keinen Blick sandte er zurück zum Beutel und zur Schere, die auf dem Stein liegenblieben; er ging mit gemessenen Schritten in den Wald, die Ruhe des Wanderers in sich, der sein Ziel kennt.
Niemand würde es gewagt haben, den Zaun abzubrechen. Svarogh hätte sie auf der Stelle erschlagen. Der Zaun würde noch stehen wie damals, und die heiligen Eichen würden ihre Äste in den Himmel strecken, wie es immer gewesen war.
Als Uvelan einen Teil des hüfthohen Zaunes zwischen den Bäumen sah, beschleunigte sich sein Atem. Die Anhöhe lag vor ihm, der Hügel der Geister, der Ort, den die Redarier gefürchtet und die Stämme des Weletenbundes verehrt hatten, das Zentrum eines heiligen Waldes, das Herz des Glaubens Tausender. Hier waren die wichtigsten, dauerhaftesten Ehen geschlossen worden, hier hatten sie Rat eingeholt, Svarogh geopfert, um eine gute Ernte gebeten, die Stürme besänftigt oder sie gerufen.
Uvelan hörte den Wald rauschen, lauter, rasender. Er hörte die Äste knacken in den Baumkronen, spürte den Boden unter seinen Füßen beben. Er hörte das Wispern der Geister, das Rufen der Tiere. Da. Der Zaun war
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