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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Moment, das Hemd noch fühlen zu können. Dann griff er sich an die Brust, rieb den zerlöcherten Stoff zwischen den Fingern. Er hatte es vor seiner Flucht angezogen.
    Der Kranke hatte in Stößen gesprochen, halb flüsternd, halb keuchend, und um Heilung gebeten. Tonkrüge standen hier, gefüllt mit Honigwein, und verzierte Schalen, in denen Roggen aufgehäuft war und Hirse. Blumenkränze drehten sich in den Zweigen der Eichen.
    Als der Kranke sich mit einem Lächeln umwandte, um mit der Frau den Hain zu verlassen, ging ein Raunen durch die Volksmenge. Zuerst dachte Uvelan, sie freuten sich über die Heilung, staunten, daß die Geister durch das Opfer des Mannes so rasch günstig gestimmt worden waren. Aber dann sah er, daß das Gemurmel nicht dem Kranken galt, daß sie jemandem Platz machten. Erschien ein hoher Fürst zum Gericht? War es gar König Cealadrag? Uvelan wischte die Handflächen am Mantel ab. Er trat zur Pforte, um den Ankömmling dort zu empfangen. Die Menschenmenge teilte sich. Es war Nevopor. Der, der einen unbedeutenden Hain zwei Tagesreisen gen Osten übernommen hatte, nur um ihn kurz darauf zu schließen. Der, der seit zwei Jahren einen Tempel auf einem Hügel baute, fernab jeder Siedlung. Der Mörder.
    Die lange braune Mähne kleidete seinen Nacken wie Bärenfell, fiel auf den schwarzen Kittel herab. Seidenstickereien schillerten auf dem schwarzen Leinen, Wellenlinien. Um den Hals hing am Lederband ein kleines bronzenes Pferd. Es fing die Sonnenstrahlen, blitzte beinahe angriffslustig. Die Stirn Nevopors wölbte sich weit unter der schwarzen Priesterbinde. In den Augenwinkeln spielten kleine Fältchen, in denen Gelassenheit nistete.
    Vier weitere Schwarzbekuttete folgten ihm, und hinter ihnen schritten Männer mit blanken Äxten.
    Uvelan tat einen tiefen Atemzug, daß sich die Brust wölbte. Er würde keine Schwäche zeigen. Er wußte die Geister hinter sich, die seiner Familie wohlgesonnen waren und ihn als Wächter des heiligen Hains nicht im Stich lassen würden. »Was willst du?«
    »Laß mich in den Hain treten.«
    »Nicht mit diesen da.« Uvelan wies auf die Bewaffneten. »Du weißt, wer die Wohnstätte der Geister entweiht, den trifft Krankheit und Tod. Oder suchst du Asyl, weil deine eigenen Leute dich verfolgen?« Vorstellbar war es, nach dem, was Nevopor getan hatte.
    »Ich möchte opfern. Das wirst du mir nicht verwehren.«
    Ein junger Mann in schwarzem Mantel trat hervor, einer der vier, und entblößte in ehrfurchtslosem Lächeln riesige, schiefe Zähne. Er hielt ein junges Schwein an die Brust gepreßt, dessen Kopf in einem Sack steckte. Als spürte es die Blicke Uvelans, begann das Schwein plötzlich, zu treten und sich im Griff des Mannes zu winden.
    »Ein Eberferkel«, sagte Nevopor. »Ein gutes Opfer.«
    Schweigend trat Uvelan beseite und öffnete die Pforte. Während die Männer eintraten, lösten sich die Worte aus seinem Gedächtnis wie Steine, die einen Hang hinunterpoltern: »Im Hain darf nichts gebrochen werden, nichts gejagt, nichts gepflückt. Hebt auch totes Holz nicht auf. Begegnet den Geistern mit Ehrfurcht, beugt euch vor den ewigen Eichen, die ihre Wohnstätte sind.«
    Die Männer knieten nieder. Zwei Priester hielten das Schwein, während Nevopor ihm den Dolch ins Herz bohrte. Sie hielten es fest, bis seine Bewegungen erlahmten. »Dies«, dröhnte Nevopor, »als Zeichen meiner Ehrfurcht vor den heiligen Eichen.«
    »Und vor den Geistern, die darin wohnen, hoffe ich.« Uvelan hätte die fünf Männer gern aus dem Hain geschoben. Das Herz krampfte sich ihm zusammen beim Anblick der fremden Priester auf dem Grund, den er pflegte. Sie gehörten nicht hierher.
    »Heute nacht hat ein neuer Gott dem Tempel Rethra die Ehre erwiesen.« Mit erhabener Langsamkeit drehte sich Nevopor zum Volk um, das um den Zaun des Hains versammelt war. »Sein weißes Roß wird bei uns bleiben. Und es wird uns die Zukunft verkünden. Wer von Euch das Götterpferd sehen möchte, soll in einer Woche zum Tempel reisen.«
    »Am Gerichtstag!« Uvelan schüttelte fassungslos den Kopf. »Du willst die Redarier am Gerichtstag fernhalten vom heiligen Hain? Und was soll das für ein Gott sein?« Er wendete sich ebenfalls zum Volk und rief: »Ich warne euchim Namen Svaroghs – erzürnt nicht die Geister, die in Ewigkeit in diesen Eichen wohnen! Sie werden euer Fernbleiben mit Unglück vergelten. Wollt ihr euer Vieh verlieren, sollen eure Bögen brechen und eure Häuser verfallen? Wollt ihr, daß

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