Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Stürme eure Felder verwüsten? Das ist die Macht der Geister und die Kraft Svaroghs. Beschwört nicht ihren Unwillen herauf!«
Nevopor lächelte. »Nichts davon wird geschehen. In diesen Eichen wohnen keine Geister mehr.«
In einem einzigen Augenblick spürte Uvelan das Blut seines ganzen Körpers in den Füßen aufschlagen. Er rang nach Luft. Was wagte dieser Mensch?
»Habt ihr nicht gemerkt, daß die Gunst der Götter sich von dieser Priesterfamilie abgewendet hat?« Nevopor richtete den Arm auf Uvelan. »Einst führte uns ein mächtiger Bote Svaroghs, Uvelans Vater. Aber er ist tot. Keinen seiner Söhne hat Svarogh als neuen Boten angenommen. Einer starb durch die Hörner des Urs, obwohl er ein guter Jäger war und in den Kämpfen gegen die Obodriten große Kraft bewiesen hatte. Und hört die erste Prophezeiung des Orakelpferds von Rethra: Auch dieser hier, sein Bruder, wird sterben. Er wird den morgigen Tag nicht erleben. Svarogh hat ihn verstoßen.«
Ein Mann drängte sich an den Zaun des heiligen Bezirks. Er schüttelte zornig seine Rechte, eine Hand, an der einige Finger fehlten. »Du entweihst unseren Hain. Wage es nicht, dort Blut fließen zu lassen!« Zahnlücken klafften im Mund des Mannes.
»O nein, es wird kein Blut fließen. Svarogh selbst wird Uvelan töten, wie er den Rest seiner Familie ausgelöscht hat.«
»Wir wollen keinen Tempel! Dieser Hain ist es, den unsere Vorfahren geachtet haben, seit die ersten Dörfer gegründet wurden. Wir bleiben ihm treu. Vergiß deinen neuen Gott. Wer sollte das sein?«
»Ihr wollt vor den Bäumen opfern, die verflucht sind?Nun, so wird euch der gleiche Fluch treffen, der auch die Priester dieses Hains ereilt hat.«
Uvelan donnerte: »Die Geister werden dich bestrafen, Nevopor. Wie kannst du einen solchen Frevel wagen? Du bist des Todes!«
»Welche Geister? Ich frage dich, welche Geister, Uvelan? Brauchst du erst einen Beweis?« Er wendete sich zum Volk hin. »Braucht ihr einen Beweis? Ich werde ihn euch geben.« Entschlossenheit trat auf das Gesicht Nevopors: Der Mund zog sich eng zusammen, die Nasenflügel blähten sich, Röte färbte die weite Stirn rings um die Priesterbinde. Er umschloß das bronzene Pferd mit der Rechten, fügte auch die Linke darum und murmelte einige Schutzformeln, dann beugte er sich zum Boden herunter und hob einen Ast in die Höhe. »Würden die Geister es dulden, daß in diesem Hain etwas gebrochen wird, das ihren Wohnstätten angehörte? Das würden sie nicht hinnehmen. Nun denn, seht her!« Mit beiden Händen nahm er das Holz, fuhr damit auf das erhobene Knie nieder, und es zerbarst. Das Knacken hallte zwischen den Bäumen wider.
Bleiche Gesichter starrten Nevopor an, sie warteten auf die Strafe, die ihn sicher treffen mußte. Er mußte leblos zusammensacken, ein Bär mußte auftauchen und ihn verschlingen, die Erde mußte sich auftun und ihn in die Tiefe ziehen. Nichts geschah.
Dann gingen die ersten. Stumm wandten sie sich um und verließen die Menge. Andere flüsterten, die Augen weit aufgerissen, sahen in die Eichen hinauf und schüttelten die Köpfe.
Bedeutungsschwer nickte Nevopor den Redariern zu. »Ich denke, das ist Beweis genug.« Ein leichter Wink seiner Hand genügte, und die vier Priester folgten ihm aus dem Hain. Dort schlossen sich ihnen die Bewaffneten an. Während sie sich ihren Weg durch das Volk bahnten, wurden Hände ausgestreckt, rührten die schwarzen Mäntel der Priester an.
Uvelan hatte sich zu den Eichen umgewandt und war vor ihnen auf die Knie gesunken. Warum? hatten seine Lippen gesprochen, ohne Ton. Warum habt ihr das zugelassen? Weshalb verstoßt ihr mich?
Es war der letzte Tag im Hain gewesen, und nun kniete er wieder hier, inmitten der Trümmer.
Uvelan preßte die Rechte auf das Gesicht, rieb sich die Augen. »Das Orakel hat gelogen. Ich lebe noch. Es war ein böses Spiel … Und doch hat Nevopor gewonnen: Er hat den Hain zerstört, und er hat mich vernichtet. Warum hast du das zugelassen, Svarogh?«
Kaum hörbar brummte die Erde. Ihr tiefer Donner brachte Uvelans Knie zum Zittern. Die Blätter in den Kronen der Eichen tuschelten. Sie wisperten Geheimnisse, hauchten stille Lieder. Dann ächzte einer der Bäume, neigte die Äste herab.
Uvelans Augen brannten, Tränen sammelten sich darin. Er lächelte. »Ihr seid noch da, nicht wahr? Und ihr begrüßt mich.« Schauer liefen ihm den Rücken herab, fuhren über die Schenkel wie warme Hände. »Ich bin wieder da. Ich bin zurück. Was soll ich
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