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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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hin. Auch du, großer Himmelsschmied, Svarogh, befiehl der Sonne, daß sie hinter dem Meer verharren möge, bis ich in der Burg ein Versteck gefunden habe.«
    Er lächelte. Nevopor hatte dem Boten geglaubt. Er bereitete das Opferritual vor. Ein weiter Weg war es gewesen, vom Lucinsee in großem Bogen durch die Wälder um die Tempelburg herumzulaufen bis zur Straße, die nach Westen führte, aber er hatte sich gelohnt: Mit Freude hatte Uvelan aus dem Versteck heraus den Strom der Reisenden beobachtet, die nach Rethra kamen, um dem Opfer beizuwohnen. Einflußreiche Zupans waren darunter, die er für Svarogh gewinnen wollte, Fürsten, die auf Pferden ritten und gleißende fränkische Schmuckschwerter trugen, deren Parierstangen und Griffe mit Bronze verziert waren oder mit Silber. Wikingische Prunkäxte gab es da zu sehen, mit Kupferdraht oder gar mit Gold ausgelegt, kostbare Panzerhemden auskleinen Ringen. Es waren Männer, auf die das Volk hören würde. Diese würde er finden, würde sie in ihren großen Zelten besuchen und sie an Svarogh erinnern, an den verstoßenen Gott, der mit Macht zurückzukehren bereit war.
    Ein Vogel stimmte hinter Uvelan sein Lied an, zwitscherte frech in die Dunkelheit hinein. Bald kam entfernter Vogelgesang vom anderen Ufer hinzu. Die Töne der beiden Vögel sausten wie gewetzte Messerklingen über den See, klares, scharfes Pfeifen und Trillern. Bald mußte der Morgen grauen, und es war höchste Zeit, sich an die Burg heranzupirschen. Ein Blick zum Himmel trieb Uvelan zu einem raschen Aufbruch an: Die Sterne verblaßten allmählich, und auch der Mond verlor an Leuchtkraft.
    Er hastete durch den Wald, gerade nah genug am See, daß er nicht die Richtung verlor, und zugleich so weit unter den Bäumen, daß man ihn, so hoffte er, in der Dunkelheit von der Burg aus nicht sah. Manchem trockenen Ast wich sein Fuß im letztem Augenblick aus, mancher Dornenzweig verhakte sich in Uvelans löchrigem Hemd und mußte – unter leisen Flüchen – mit den Fingerspitzen herausgelöst werden. Dann endlich der Wall in unmittelbarer Nähe, und dort auch schon die Gestalt, die den Hang herunterkam und das Boot vom knirschenden Ufer ins Wasser schob. Uvelan duckte sich hinter einen Strauch.
    Zügig watete der schlacksige Mann neben dem Boot ins Wasser. Etwas stimmte nicht an ihm. Die Arme waren zu lang, dünn und lang wie Rehbeine. Im jungenhaften Gesicht preßten sich die Lippen aufeinander. So kalt war das Wasser? Sorgte er sich, daß man ihn von der Mauer aus beobachtete, und bemühte sich deshalb, sich die Kälte nicht anmerken zu lassen?
    Der Mann packte den Rand des Bootes mit den knochigen Händen, stemmte sich hoch und kletterte hinein. Tropfen rannen aus seiner Hose und trommelten auf den hölzernen Rumpf. Er wartete, bis das Schaukeln nachließ, dann hob er eine Stange auf und ließ sie am Heck mit demEnde ins Wasser gleiten. Er tat dies, ohne sich umzudrehen, stocherte nach dem Grund, während er auf den See schaute, und schob das Boot sanft in Richtung der Reusen.
    Uvelan hob den Kopf. Sorgfältig prüfte er die Krone der Palisaden, sah in jedem Winkel nach den Umrissen eines Menschen. Nichts zu entdecken. Zeit, daß die Erinnerung zurückkehrte in Nevopors Reich. Er verließ das Versteck, eilte von Stamm zu Stamm. Dann trat er aus dem Wald. Der Fischer stand im Boot, der Burg den Rücken zugekehrt. Vor Uvelan ragte ein steiler Hang in die Höhe, verkleidet mit Granitblöcken. Obenauf thronten die Palisaden Rethras.
    Hundert Schritte waren es im mindesten bis zum kleinen Tor. Der Fischer durfte sich nicht umdrehen, während Uvelan sie zurücklegte; eine lange Zeit. Dann war da noch der Mann am Pfahl.
    Uvelan begann zu laufen. Er hielt sich dicht am Hang. Niemand würde auf dem Wehrgang sein. So hatte es Alena gesagt, und die letzten Tage hatten es bestätigt.
    Langsamer! mahnte er sich. Wenn er keuchte, würde er auf sich aufmerksam machen. Es half nichts. Die Furcht, entdeckt zu werden, trieb Uvelans Beine an, und bald atmete er in kräftigen Stößen.
    Was war los mit den Händen dieses Mannes? Hinter dem Pfahl waren sie verknotet, so eng, daß kaum die Fingerspitzen hervorschauten. Die wenigen Flecken Haut, die zu sehen waren, schimmerten blau. Uvelan schlich hinter dem Pfahl vorbei. Nun erhaschte er auch einen Blick auf den Kopf des Gefolterten. Das Gesicht hatte eine abstoßende, rotblaue Farbe. Spitze Knochen zeigten sich unterhalb der geschlossenen Augen; ein mit Haut bezogener Schädel,

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