Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
abgehärmt, zerfallen.
Er wendete sich ab, wollte den Hang hinaufsteigen. Aber die Knie zitterten, gehorchten nicht. Uvelan glitt aus auf dem taunassen Gras, das zwischen den Granitblöcken wuchs, rutschte, ruderte mit den Armen, stürzte. Der Aufpralltraf seine Schulter wie ein Faustschlag. Hart biß er sich auf die Zunge, um nicht zu stöhnen. Schlimm genug war es, daß der dumpfe Ton der Erschütterung über den See gehallt war. Vorsichtig hob er den Kopf, sah zum dürren Mann im Boot hinüber. Unverändert stakste der sein Boot zu den Reusen.
Der Gefolterte! Er hob den Kopf, langsam, als müsse er ein unglaubliches Gewicht bewegen. Aus der Kehle schoben sich Rabentöne.
Warum drehte sich der Fischer nicht um?
Allmählich sickerte eine eisige Ahnung durch Uvelans Gedanken. Er sollte sich nicht umdrehen. Jemand hatte ihm gesagt, daß er sich nicht umdrehen solle, egal, was geschehe.
Uvelan hob die Hände, hielt sie eine Elle auseinander, sah auf den Fischer. Dann schlug er die Handflächen zusammen. Die Schultern des Hageren zuckten kurz. Leise echote das Klatschen vom Waldrand am anderen Seeufer herüber. Ohne sich umzudrehen, stakte der Fischer weiter.
Eine Falle. Uvelans Hände schlossen sich zu Fäusten und öffneten sich wieder. Am ganzen Körper brach ihm der Schweiß aus. Er hastete zum Ufer, rannte. Die Füße stießen seinen Körper voran. Er hustete, röchelte nach Luft. Rumpeln am Hang, das Rasseln von Waffen. Verfolgertritte donnerten. Irgend etwas fauchte und platschte neben ihm ins Wasser. Eine Stimme rief: »Torfköpfe! Ihr sollt ihn lebend fangen.«
Er mußte nur den Wald erreichen. Nur den Wald. Dumpfe Gefühllosigkeit verdrängte den Schmerz in Uvelans Beinen. Je eindringlicher er ihnen befahl, sich schneller zu bewegen, desto langsamer wurden sie, als würde ein Gift sie lähmen. Die Lunge stach. Ein Specht hatte sich ihm in den Nacken gekrallt und hämmerte gegen den Schädel. Er konnte kräftige Atemzüge hören, Füße, die auf den nassen Ufersand klatschten. Keuchend trieb er sich zum Äußersten an. Der Mann am Pfahl kam ihm in den Sinn. Wenn Nevopor ihn,Uvelan, in die Hände bekam … Hätte er sich doch noch ein wenig Eisenhut gesammelt, einige Buschwindröschen oder Tollkirschen, um sich das Leben zu nehmen, für den Fall, daß es schiefging!
Etwas riß an seiner Schulter, er wurde zu Boden geworfen, ein Körper landete auf ihm und preßte seine Brust zusammen, daß ihm die Luft entwich.
»Ganz schön schnell für einen Greis«, keuchte jemand.
Zahllose Hände griffen nach seinen Armen. Das Gewicht hob sich von ihm. Endlich ein Atemzug. Uvelan wurde hinaufgezogen und auf die Beine gestellt. Er sah Gesichter, Axtblätter, ein Eisenhemd. Hinter den Kriegern, die ihn festhielten, ein Mann in schwarzem, seidenbesticktem Mantel. Der Mund inmitten des Bartes von ernster Festigkeit, die Augen gefaßt und unlesbar, eine breite Stirn. Immer noch diese Mähne wie ein Bärenfell, nur daß sie grau geworden war.
Nevopor musterte seinen Widersacher. Wie er würdevoll die Schultern streckte! Ein Greis war aus ihm geworden, einer von denen, die unsterblich scheinen. Wohl altert die Haut und die Ohren werden größer, aber ein Blick in die Augen zeigt ihre ungebrochene Kraft. Sie lallen nicht, sie nehmen nur an Weisheit zu. Ausgerechnet er ein Mann, der an Stärke gewachsen war.
Kaum wieder auf den Füßen, sagte Uvelan: »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.« Das Schlangenarmband blitzte an seinem Handgelenk. Er hatte sich die Priesterbinde um die Stirn gebunden, als gebe es Rethra nicht.
Ein aberwitziger Gedanke schoß Nevopor durch den Kopf: Welch stattlichen Priester der Feind abgeben würde, wenn er sich Rethra zuwendete! Jarich, Miesko – niemand konnte ihm das Wasser reichen. Die taubenweißen Nägel, Bart und Haare ein See von Silber und klare, steingraue Augen, die Überlegenheit versprühten. Das Gebaren eines Fürsten, die Haltung eines Götterboten.
Er mußte sterben. Je eher, desto besser.
»Durchaus nicht, nein, du kommst nicht ungelegen. Deine Gäste sind bereits hier.«
»Meine Gäste?«
»Ein so wichtiger Mann wie du sollte nicht ohne die seiner Würde entsprechende Zuschauermenge sterben, findest du nicht? Das habe ich inzwischen dazugelernt. Seit damals.«
Uvelan lächelte mit offenem Mund.
In Nevopors Brust donnerte das Herz, der Atem flatterte. Wie konnte Uvelan diese Nachricht so fröhlich aufnehmen? Es verunsicherte ihn. Der Speichel wurde süß im Mund
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