Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
hinauf. Die Äste, mit Pflöcken am Boden befestigt, um so etwas wie Treppenstufen zu bilden, erschienen ihm mit einemmal schäbig. Er würde diese Treppe erneuern lassen, sie sollte steinern sein. Und er würde jedesmal an seinen Sieg über den Widersacher denken, wenn er sie betrat.
Am Tor wartete Barchan mit weiteren Bewaffneten. Hatteer sich etwa gesorgt? Er trug eine brennende Fackel, das Gesicht glühte von grimmiger Freude. Sie nahmen Uvelan in ihre Mitte. Die Fackel beleuchtete Eichenstämme. Knisternd verbrannten Spinnen, die die Flamme gezwungen hatte, sich von der Decke an schimmernden Fäden herabzulassen.
»Du hattest einen guten Baumeister«, sagte Uvelan. Seine Stimme wurde von der Enge des Ganges gedämpft.
»Es ist nicht der Baumeister, der Rethra zu dem gemacht hat, was es ist. Die Tempelburg atmet die Gunst Svarožićs.«
»Wollen sehen, ob sich das Hirngespinst dem wahren Gott stellt.«
Es war keine Erwiderung nötig. Sie traten in den Hof. Uvelan mußte sehen, daß er verloren war.
Tatsächlich blieb der Widersacher stehen, musterte mit großen, ernsten Augen den Tempel auf der Anhöhe. Nevopor mühte sich, den Blicken Uvelans über die langen Bohlen zu folgen, die den Tempel umgaben, die übermenschengroßen, dünnen geistergleichen Körper. Sie waren grell angemalt und trugen außer dem Kopf keine Gliedmaßen, was sie erscheinen ließ, als würden sie sich jeden Augenblick vom Boden lösen und in Bäume einfahren oder in Steine oder durch die Lüfte schweben zu Frevlern, um sie zu verschlingen. Beine und Arme waren dafür nicht notwendig, es waren die Gliedmaßen der schwächeren Wesen.
Die Gesichter der Geister brüllten Warnungen, sie fletschten dolchartige Zähne, sandten Blicke, die vor Zorn und Ungeduld sprühten. Lauernde Dämonen waren es, die den Tempel beschützten.
Hinter ihnen prunkten die Wände des Tempels auf einem Fundament aus Tierhörnern. Neben den Schaufeln des Elchs ragten Widderhörner aus der Wand, daneben die Stoßwerkzeuge von Ziegenböcken, Wisenten und dem Ur, Zeugnisse von Kraft und Gewalt.
Barchan und die anderen Gardisten weideten sich sichtlichan Uvelans Erschrecken. Nevopor fuhr sich mit der Hand durch den Bart und nickte. »Siehst du es nun? Svarogh ist tot.«
Während er es sprach, starben die drei Wachposten an der neuen Brücke, durchbohrt von sächsischen Kurzschwertern. Unbemerkt walzte ein Heer von Hunderten Sachsen und Obodriten über den Fluß.
30. Kapitel
Ein rötlicher Schimmer kletterte durch die Giebelöffnung in den Raum. Unruhig bettete Alena wieder und wieder ihren Kopf, drückte das knisternde Stroh zurecht in dem Sack, auf dem sie lag. Sie lauschte. Kein Geschrei war zu hören, keine lauten Rufe. Während das rote Licht die Wand hinabkroch, langsamer als eine Schnecke, trommelte Alena leise mit den Fingern auf den Rand der Bank. Immer noch war es still. Der Schimmer hatte die Steinplatten des Ofens erreicht. Ein Hund bellte, ein zweiter stimmte ein. Hatten sie Uvelan entdeckt? Die Hunde verstummten wieder, und der rote Schein wanderte zum Webstuhl. Er färbte den weißen Sand darunter fuchsfarben und zündete die Tongewichte an, die an den Spannfäden hingen. Warten, bis das Morgenlicht auf dem Schloß der Truhe blinkte. Dann würde sie aufstehen und ihren Vater zu sprechen verlangen.
Ohne Zweifel hatte Nevopor ihr den Wachposten, der dort reglos am Türrahmen lehnte, mit Hintergedanken zugewiesen. Er mußte neu in der Tempelgarde sein, Alena kannte ihn nicht. Sicher befürchtete Vater, die anderen würden der Tochter des Hochpriesters aus Ehrfurcht zu viele Freiheiten gewähren. Aber das war nicht mehr wichtig. Es mußte Uvelan gelungen sein, unbemerkt in die Burg zu gelangen, und dadurch würde sich bald eine Menge ändern. Wenn Vater dachte, er hätte sie im Griff, dann hatte er sich getäuscht.
Hier erzählte jeder Winkel eine Geschichte. Am größten Stein des Ofens hatte sie sich als Kind die Hand verbrannt, so schlimm, daß die Haut am Ofen kleben blieb. Seltsamerweise erinnerte Alena sich nicht an den Schmerz; immerwenn sie daran dachte, hallte nur ein Erschrecken, ein beinahe gefühlloses Erstaunen in ihr wider, und sie meinte sich zu entsinnen, auch damals mit Neugier ihre verbrannte Hand und den Hautfetzen am Ofen betrachtet zu haben, bevor sie allmählich gewahr wurde, daß ihr etwas Schreckliches geschehen war.
Sie hatte sich monatelang davor gescheut, der Truhe nahe zu kommen, weil Vater eines Abends auf ihrem
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