Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Bettrand gesessen und ihr mit raunender Stimme erzählt hatte, sie sei voller Schlangen, giftiger wie ungiftiger, die sich umeinander wänden und Diebe, die sich an den Habseligkeiten Nevopors zu vergreifen versuchten, fingen. Nacht für Nacht lauschte sie auf das leise Zischen, das tatsächlich aus der Truhe zu dringen schien, bis sie eines Tages einen Blick hineinwarf, als Nevopor eine Schere herausholte, und mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung erkannte, daß sich nicht eine einzige Schlange darin befand.
Auf jenem Schemel hatte sie gesessen, um das erste Mal Wolle zu spinnen unter Prebilas strengen Blicken, und später hatte sie Stunde um Stunde vor dem Webstuhl verbracht, dem verhaßten Monstrum. Sie wußte die kleinsten Kanten in jedem der Tongewichte im Schlaf zu beschreiben, kannte die Maserung des Holzes an jeder Stelle des Rahmens, wurde bis in die Träume verfolgt vom Webschwert und der immer gleichen Tätigkeit, die doch keinen unachtsamen Augenblick gestattete.
Das Schloß vor dem Truhendeckel blinkte auf.
Alena hob die Beine über den Rand der Bank, fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Weder verspürte sie Lust, den Wachposten nach seinem Namen zu fragen, noch mochte sie ihm einen Morgengruß sagen, ihm, der sie nicht aus dem Haus treten ließ. »Ich habe Durst. Gestern früh habe ich das letzte Mal getrunken.«
Der Posten gähnte. »Es ist gut, wenn du wenig trinkst. Ihr Frauen müßt euch so schon häufig genug entleeren gehen.«
»Was ist deine Anweisung? Sollst du mich demütigen? Hat Vater das gesagt?«
»Nevopor hat mir aufgetragen, sehr wachsam zu sein.« Der Mann grinste. »Du würdest wahrscheinlich sehr einfallsreich sein, sagte er, und vor keinem Mittel zurückschrecken, das dir die Freiheit verschaffen könnte.«
Bis zu ihr ans Bettlager drang der herbe Geruch von fettigen Haaren und ungewaschener Haut, den der Wachposten verströmte. Seine bloße Gegenwart ärgerte sie. »Dann sieh dich bloß vor, daß du es nicht übertreibst. Vater mag es nämlich überhaupt nicht, wenn jemand seine Befehle falsch versteht, und auch, wenn er mir jetzt vielleicht mißtraut, diese Laune wird verfliegen. Dann wird ihn jede Unziemlichkeit zornig machen, die du dir geleistet hast.«
»Ich glaube nicht, daß das nur eine Laune ist.«
»Nein? Er hat mich in keiner Weise bestraft, sondern nur eingesperrt, weil er genau weiß, daß ihn eine Strafe bald wieder reuen würde.«
»Ich kann dir kein Wasser geben, wirklich. Du mußt warten, bis ich abgelöst werde.«
Alena winkte in großzügiger Geste ab. »Das macht nichts. Im Augenblick geht es ja noch. Ich meine, gut möglich, daß ich in ein paar Stunden eine kleine Ohnmacht bekomme oder meine Stimme austrocknet, aber noch ist es ja nicht soweit.« Sie räusperte sich, täuschte beim Sprechen ein Kratzen im Hals vor. »Und wenn schon. Würde ich meine Stimme verlieren, könnte das Vater momentan sogar freuen, weil er es als gerechte Strafe empfinden würde. Jedenfalls so lange, bis seine Wut verflogen ist. Was rede ich! Glücklicherweise ist es noch nicht so weit.«
»Ist das so?« Der Wachposten beugte sich vor, musterte Alena erschrocken. »Kann man seine Stimme verlieren, wenn man zuviel Durst erleidet?«
»Sicherlich. Das macht das Verdursten so gefährlich; irgendwann kann man nicht mehr um Hilfe rufen oder erklären, daß man durstig ist.«
Die Schultern der Wache fielen kraftlos herab. »Ich rufe einmal auf den Hof, ob jemand bereit ist, einen Krug Wasser herbeizuschaffen.« Beinahe stolperte der Mann aus der Tür. Draußen rief er: »Holla! Kann jemand mir helfen?«
Eine Weile geschah nichts, dann näherten sich Schritte, schwere Schritte und das Knarzen von Leder. Eine tiefe Stimme fragte: »Was ist los? Gibt es Schwierigkeiten?«
Barchan. Alena setzte sich aufrecht, klammerte die Finger an das Holz der Bank.
»Schwierigkeiten nicht, nein, es ist nur … Stimmt es, daß die Stimme verlorengeht, wenn man zu lange nichts trinkt?«
»Wer hat dir solchen Unsinn erzählt?«
Es war still. Der Wachposten machte wohl eine Geste.
»Du bleibst hier draußen. Ich will allein mit ihr reden.« Die Tür öffnete sich, und Barchan trat ein. Er schob die Pelzkappe auf dem Kopf zurecht, zwirbelte den Oberlippenbart. »Und, die Stimme schon verloren?«
»Ich hatte Durst. Er wollte mir nichts bringen.«
»Das war klug von ihm. Ich werde ihm heute ein besonders großes Stück Fleisch zuweisen.«
»Ihr feiert?«
Barchan
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