Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
etwas fragen.«
    »Was?«
    »War es wirklich furchtbar für dich?«
    Alena sah genau, daß der Hüne schluckte. Er flüsterte: »Nein.«
     
    »Ein Reh, gut.« Tietgaud sah ihnen entgegen und lächelte.
    Und Stachelbeeren. Kein Wort bekam Alena heraus.
    »Der Regen hat auch aufgehört. Soll ich dir beim Abhäuten helfen, Embricho?« Brun zog das Messer, ohne eine Antwort abzuwarten. »Wenn wir die Haut in einem großen Stück abtrennen, können wir den Rest des Fleisches darin einwickeln. Aber was sage ich – Rest? Ich habe solchen Hunger, ich könnte das ganze Tier allein essen!«
    Alena sah Audulf mit halboffenem Mund in die Luft starren, als lausche er. Jetzt hörte sie es auch: Schritte. Jemand lief ohne Eile durch den Wald. Und kam näher.
    Brun richtete sich auf. Wie Embricho und Tietgaud blickte er in die Richtung, aus der die Schritte zu hören waren, das Blätterrascheln, das Knacken der Zweige.
    »Wen habt Ihr mitgebracht?« fragte Tietgaud leise.
    Der Hüne schüttelte nur den Kopf.
    »Ihr seid niemandem begegnet?«
    Zuerst zweifelte Alena noch, hoffte, es wäre einfach ein großer, alter Mann mit zerschlissener Kleidung. Aber während er näher kam, erkannte sie deutlich den grünen Bart, die Krallen an den Händen, die Runzeln im Gesicht, die von den Mundwinkeln bis zum Haaransatz hinauf das Gesicht bedeckten, das alte, machtvolle Gesicht mit den steingrauen Augen. Der Waldherrscher ging langsam, er hatte keine Eile, sie zu strafen.
    Kein Mann würde mit solcher Geduld laufen, während er beobachtet und erwartet wurde. Der Waldherrscher nahm jeden Schritt in Ruhe, ging, als würde er Wort für Wort eine Geschichte erzählen.
    Alena sank auf die Knie. Er mußte alles gesehen haben. Zwei Tage waren ihre Gnadenfrist gewesen. Nun war er da, um sie zu bestrafen. Er mußte gesehen haben, wie sie Embricho geküßt hatte. »Vergib mir!« ächzte sie. Die Krallenhände. Er würde sie ihr um den Hals legen und sie töten.
    Der Waldherrscher beachtete sie nicht. Vor Tietgaud blieb er stehen, wie von Nägeln zerkratzt das Gesicht. Strahlenförmig liefen die Runzeln von den Augen bis zu den Ohren und vom Haaransatz bis zum Bart. Der Bart! Verfilzte Kräuselhaare, dazwischen grüne Pflanzenfasern. Zwischen Kletten und Holzstückchen nisteten Insekten. Wie der Bart waren auch die Haare grau und weiß, Blätter und trockene Zweige waren darin eingeflochten. »Rethra?«
    »Ob wir nach Rethra reisen?«
    Er nickte.
    Tietgaud zögerte und sagte dann stolz: »Ja, wir sind unterwegs nach Rethra.«
    »Ich reise mit Euch.«
    »Einen Augenblick.« Embricho trat an den Waldherrscher heran. »Fragt man nicht höflich bei einer Gruppe nach, ob man sie begleiten darf? Wo ist dein Benehmen, alter Mann?«
    Alena sah, daß der Waldherrscher bei diesen Worten zusammenzuckte. Wie konnte Embricho so frevelhaft sprechen?
    »Ich ehre Euch damit, daß ich mit Euch reise, Fremder.«
    Tietgaud stieß Luft aus, stand einen Augenblick mit entsetztem Ausdruck da. Dann fing er sich. »
Nolite extollere in altum cornu vestrum.
Bedenkt diese alte Weisheit Davids aus dem fünfundsiebzigsten Psalm. Tragt Euer Horn nicht zu hoch!«
    »Ich trage mein Horn in angemessener Höhe, Mönch.«
    »Ihr seht nicht gerade aus wie ein Fürst oder ein König. Eher wie ein verfilzter Alter mit Blättern und Zweigen im Bart.«
    »Als ich Euch das Leben rettete, hat Euch mein Aussehen wenig gekümmert.«
    Tietgaud und Embricho schwiegen. Brun blickte zu Boden und rieb sich den Nacken.
    »Er hat recht«, sagte Embricho. »Wir schulden ihm unser Leben.«
    »Ja.« Tietgaud strich mit der flachen Hand über das Kreuz, das auf seine Brust herabhing. Es sah aus, als wollte er es beruhigen, als wäre es für ihn ein lebendiges Wesen, das Wärme und zärtliche Berührung brauchte. »Wir haben Fleisch, ein Reh. Habt Ihr Hunger?«
    Der Waldherrscher beachtete die Frage nicht. Er wandte sich Alena zu, sprach Slawisch: »Steh auf. Ich verdiene keine Anbetung. Das gebührt Svarogh allein.«
    Svarogh! Ein kalter Hauch legte sich auf ihre Gesichtshaut. »Der Name ist tabu«, flüsterte sie. War er nur den Menschen verboten? Dem Waldherrscher war er gestattet?
    »Tabu? Wie meinst du das?«
    »Niemand darf ihn aussprechen.«
    »Und wie redet ihr dann mit ihm? Wie betet ihr ihn an?« Die Stimme des Waldherrschers hatte sich gesenkt.
    »Es ist verboten, ihn anzurufen.«
    »Was?« Eine Weile formten die Lippen des Waldherrschers tonlose Worte. Schließlich murmelte er: »Verboten, ihn

Weitere Kostenlose Bücher