Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Pflanze, wenn Gift vonnöten war. Der Mann kauerte am Boden. Er atmete pfeifend, flach. Der Blick, den er Nevopor nachsandte, war voll kalten Schreckens.
Nevopor ließ sich nichts von dem Interesse anmerken, das er dem Kessiner entgegenbrachte. Er hielt den Kopf aufrecht, still. Dabei betrachtete er ihn genau. Ein einprägsames Gesicht: Obwohl die Nase des Kessiners fast bis zum Mund herabreichte und breite, unschöne Falten auf beiden Seiten des Gesichts die Wangen durchschnitten, strömte der Mann Stolz aus und beinahe eine Art von wilder Schönheit. Die silberne Kette, die seinen Fellumhang zusammenhielt, deutete auf seinen Rang hin, ebenso die feinen Verzierungen auf der Gürtelschnalle aus Kupfer.
Nun blieben die Gefolgsleute hinter ihm stehen, neigten ihre Häupter zum Tempel hin und dann vor ihm, Nevopor.
»Ehre dem Dreiköpfigen, dem Lichtbringer und Feuerfürsten.Und Ehre auch dir, Priester. Ich bin Želechel vom Volk der Kessiner.«
»Willkommen in Rethra, Želechel. Du sprichst mit Nevopor, dem Hochpriester, Diener des unsterblichen Svarožić.«
Für einen Augenblick war Erstaunen in Želechels Gesicht zu sehen. Er verneigte sich tief. »Ich bin geehrt, Hochpriester.«
»Was ist dein Begehr?«
»Zuerst möchte ich Svarožić meinen Dank erweisen.« Er machte eine kurze Handbewegung.
Zwei Männer traten neben ihn, zwischen sich ein Bündel aus Tierhaut, das sie gemeinsam trugen. Želechel schlug die Haut zurück. Es war ein ordentlicher Haufen weißen Leinens, Tücher von einem Schritt Länge und einem Schritt Breite.
Sie würden es gut weitertauschen können. Nevopor nickte gnädig.
Ein vierter Mann aus dem Gefolge des Kessiners trat hinzu und streckte ein Fäßchen nach vorn. Es mußte schwer sein, die Arme zitterten ihm, aber er verzog keine Miene. Želechel löste das gewachste Leder, mit dem es verschlossen war.
Der süße Duft von Honig stieg Nevopor in die Nase. Er zwang sich, die Augen auf das Gesicht des Kessiners zu richten und an das bevorstehende Orakel zu denken. Nur ein sanftes Nicken, ein Lächeln geziemte sich nicht. Er neigte kurz den Kopf. »Deine Gabe ist angenommen.«
»Gut.«
»Du brauchst einen Richterspruch?«
»Nein, ich bin hier, um das Orakel zu befragen. Ich brauche den göttlichen Rat.«
»Stelle deine Frage. Ich werde für dich aus dem Wasser lesen, und du wirst erfahren, was du zu wissen wünschst.«
Nevopor sah, wie sich Želechels Körper versteifte. Der Kessiner blickte ihm herausfordernd ins Gesicht, aber es lag auch Unsicherheit in seinen Augen, ein leises Flackern,das den Schlag des Stärkeren erwartete. »Ich bitte um eine Antwort Svarožićs. Das Pferdeorakel soll sprechen.«
»Unmöglich«, sagte Nevopor ruhig.
»Es geht um Krieg oder Frieden. Es ist wichtig.«
»Gegen wen willst du in den Krieg ziehen, Želechel?« Nevopor streckte den Kopf in den Nacken. Er wußte, er würde die Oberhand behalten. Und gleichgültig, was der Kessiner ihm sagte, er würde ihm das Pferdeorakel nicht gewähren. Und wenn das gesamte Kessinervolk gegen die Franken zog, die Weiße würde nicht sprechen für ihn.
»Eine Siedlung der Obodriten nahe meiner Burg. Sie errichten eine Feste, um von dort aus Streifzüge zu unternehmen. Das kann ich nicht dulden. Ich werde das Dorf vernichten und die Wälle wieder einebnen.«
»Wenn du Svarožić nicht erzürnen willst, dann gib ihm Ruhe. Wir haben ihn vor drei Wochen befragt, und er hat einen Menschen gefordert.«
»Ich war hier.«
»Erkennst du dann nicht, wie ungehalten er ist? Ich kann deine Bitte nicht gewähren.«
Einige Augenblicke stand der Kessiner schweigend. Es schien, als wollte er im Gesicht des Priesters lesen. Dann nickte er.
Ein kluger Mann, dieser Želechel. Er wäre Alenas würdig. Nevopor winkte Donik heran.
Der Linone machte knappe Schritte, die Kiefer aufeinandergepreßt, der Blick starr nach vorn gerichtet. Nevopor betrachtete die Kupferschüssel in den Händen Doniks, gleißend wie eine kleine Sonne. Er mußte sie noch einmal poliert haben. Beachtlich. Offensichtlich bemüht, nichts zu verschütten, setzte Donik die Schüssel zu Nevopors Füßen ab. Dann zog er sich um einige Mannslängen zurück.
Nevopor ließ seinen Körper langsam herab. Das Alter stach ihn in den Gelenken. Er kniete vor der Schüssel, wartete, bis der Schmerz nachließ. Auch der Kessiner kniete sich hin? Nevopor sah ihn kurz an, bemühte sich, wohlwollendund warm zu blicken, ohne dabei das Gesicht zu einem Lächeln zu
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