Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
heute, tu mir einen Gefallen und gib dich ernsthaft, wie es einem Priester zusteht.«
»Findest du nicht, daß es ein kluger Rat war? Der Zupan wird genauso –«
»Ich kann mir denken, was der Zupan sagen wird. Bitte, gib Frieden. Du solltest deine Kleidung überprüfen.«
»Meine Kleidung?« Jarich sah am Priestermantel hinunter und fegte an einigen Stellen mit der Hand über den Schmutz. »Habe ich dir schon berichtet, was mein ältester Sohn gestern verlauten ließ? Wenn Alena fort ist, sagte er, ist Rethra eine Fürstentochter ohne Schmuck.«
»Tatsächlich?«
»Das hat er gesagt. Sitzt still da, daß man sich schon Sorgen macht, er könnte krank sein, und dann plötzlich sagt er so etwas. So wie Donik kürzlich. Wo war das doch? Unten, in der Vorburg, er hat Reisig zu einem Besen gebunden.«
»Donik? Was hat Donik gesagt?« Nevopor hatte zum Tempel hinübergesehen. Jetzt blickte er Jarich ins Gesicht.
»Ganz blaß hat er ausgesehen. Und leise vor sich hingesprochen.«
»Donik sieht immer blaß aus.«
»Er hat das Seil festgezurrt und gemurmelt … ›Man kann es ihm nicht verdenken.‹ Ja, das waren seine Worte. Schwerfällig hat er sie gesprochen, als ächze er unter einer Last. Hast du ihn geschlagen?«
»Nein.«
»Bist du sicher? Bestimmt hast du ihn geschlagen.«
»Ich sagte: nein. Wann hat sich das zugetragen?«
»Ich weiß nicht, vorgestern? Richtig, ich hatte kurz zuvor mit diesem Köhler gesprochen, ein verrückter, alter Mann, jahrein jahraus in seiner Hütte beim Kohlenmeiler.«
»Erzähl mir ein anderes Mal von ihm.« Nevopor legte Jarich kurz die Hand auf den Arm, schob sich an ihm vorbei. Er mußte Donik finden.
Es kostete ihn Kraft, ruhige, gemessene Schritte zu machen, während er auf das Westtor zu ging. Beobachtenwürde nicht genügen. Er würde ihn zur Rede stellen. Das hatte er vom Vater gelernt: Wie man Menschen zur Rede stellte. Je weniger man selbst sprach, desto unausweichlicher war der Unterlegene zum Sprechen gezwungen. Nevopor entsann sich des bohrenden Blickes, den der Vater, als er noch lebte, mitunter auf ihn gerichtet hatte. Es waren kaum Worte nötig gewesen – dieser Blick genügte, und Nevopor wußte, daß es nötig war, einen Fehler zu gestehen.
Donik würde sagen, was er verschwieg. Und ohne daß Nevopor ihn schlug oder mit dem Zorn Svarožićs bedrohte. Wenn er ihn ansah, würde der Linone wissen, daß jede Ausflucht zwecklos war.
Er trat in den Schatten des Turmes, ging an den Wachen vorbei, sah sie die Köpfe neigen. Sie hatten ihre Äxte auf den Boden gestellt und hielten nur das Ende des Schaftes in der Hand. Hinter ihnen bildeten Steine das Turmfundament, trugen die schweren, dicken Stämme. Als er das Tor passiert hatte und wieder in die Sonne hinaustrat, blieb er stehen. Er sah die Treppe hinab: zehn Stufen, Podest, zehn Stufen, Podest, zehn Stufen. Es ging zum äußeren Mauerring. Auf dem weiten, abfallenden Hang grasten Pferde. Nevopor stellte sich das Gelände mit Tausenden Menschen gefüllt vor, die ehrfürchtig zum Tempel hinaufschauten. In einer Woche würde es wieder soweit sein. Kein Orakelspruch dieses Mal, sondern ein Menschenopfer. Es war Zeit dafür; Svarožić hatte weise entschieden.
Und es war eine Gelegenheit, Alena mit Macht auszustatten. Seine Befürchtung war nicht eingetreten, die Tochter hatte den Widerspruchsgeist der Mutter nicht geerbt. Sie war
sein
, verfügte zwar über Kampfeswillen und eigene Wünsche, aber in ihr schlug das Herz Rethras. Sie strebte nach Ansehen, und er würde ihr zu Ansehen verhelfen, denn sie war bereit, Rethra zu stärken, ihn zu stärken. Er konnte sich auf Alena verlassen. Aus dem wilden Mädchen war eine starke Frau geworden, die ihm die Treue hielt. Sie würde der Pfosten sein, der Rethra hielt, wenn er alt wurdeund die Zähne verlor. Seine Tochter würde den neuen Hochpriester lenken, bis es einen Sohn gab, einen neuen Nevopor, der alles fortzuführen in der Lage war.
Wie es ihr wohl erging? Führten sie just in dem Augenblick einen namhaften Franken gefangen mit sich, einen Grafen, einen reichen Kaufmann? Ihr würde es gelingen, seine väterlichen Erwartungen noch zu übertreffen. Sicher näherte sie sich bereits mit stolzem Herzen Rethra zu. Er würde ihr einen würdevollen Empfang bereiten.
Donik. Es durfte keine Schwäche geduldet werden.
Er beachtete die Frauen und Männer nicht, die die Treppe hinaufkamen und sich vor ihm verneigten. Stufe für Stufe ging er, auch wenn in ihm Zorn und
Weitere Kostenlose Bücher