Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
besser zu seinen Plänen passen.
Nevopor maß die Tonnen mit den Augen, die hinter den Ochsen auf der Wagenfläche aufgestellt waren. Sie rochen nach Tang und Meer, nach verrottendem Obst und Fischinnereien. Mit würdevollem Schritt näherte er sich Jarich und dem kleinen Mann. Sie erblickten ihn nahezu gleichzeitig, und in diesem Moment sanken ihre Arme herab wie die Flügel müder Vögel. Beide verstummten.
Einige Augenblicke lang genoß Nevopor den Anblick. Er liebte seine Wirkung.
Weil das die Stimme tiefer machte, senkte er leicht den Kopf und schob das Kinn vor. »Worüber streitet ihr?«
Jarich sah an seinem schwarzen Priestermantel hinab und wischte mit den Händen darüber. »Streit? Wir verhandeln nur über einen Preis. Nichts von Bedeutung.«
»Herr, du brinken Vernunft ihm bei!« Der kleine Mann trat an den Karren und legte die Hand beinahe zärtlich auf die groben Bretter, die die Tonnen hielten. »Ich haben gebracht Herinke aus Arkona, beste Qualität, du wissen, daß sie werden eingefükt nach groß und klein in Tonnen, unddieses seien größte Herinke. Schwören bei deine und meine Götter! Aber er nicht wollen bezahlen anständike Preis, nicht wollen geben Gegenwert.«
»Wie sind sie haltbar gemacht?« fragte Nevopor. »Sind sie geräuchert, getrocknet oder eingesalzen?«
»Salzik.«
Das entsprach seinen Wünschen. Er würde sie in jedem Fall für Rethra kaufen. »Brauchen wir nicht. Das schmeckt hier niemandem, und wir haben noch Fisch.«
»Brauchen nicht?« Es sah aus, als würde der Händler in Tränen ausbrechen. Er verzog das Gesicht mit erstaunlicher Beweglichkeit. Schrill war seine Stimme. »Brauchen nicht? Ich sein kommen von Arkona, nicht gehört haben? Weite Reise, sehr weite Reise. Ihr nicht haben Herinke in eure Flüsse und Seen, Herinke seien gefangen auf tobendem Meer, von Männern, die plaken sich in Nußschalen und waken ihr Leben!« Tatsächlich rollte ein dicker Tropfen über das Gesicht des kleinen Mannes.
»Tönerne Töpfe können wir bieten. Acht für jede Tonne Fisch.«
»Acht Töpfe? Ihr machen mich traurik, sehr traurik.«
»Du möchtest keine Tonware? Wie wäre es mit Leinen? Wir haben heute gutes Leinen bekommen.«
»Tuch aus Friesland?«
»Nein, Leinen aus gutem slawischen Flachs.«
Der Händler zog einen Flunsch. »Wieviel?«
»Tücher von einem Schritt Länge und einem Schritt Breite, sieben für jede Tonne Fisch.«
»Ach!« In einer zornigen Handbewegung zerschnitt der kleine Mann die Luft, als werfe er einen Stein mit großer Wucht auf den Boden. »Ich fahren nach Erfurt. Du wissen, was ich dort für die Herinke krieken?«
»Ich habe eine Vorstellung. Aber weißt du, ob du unversehrt bis Erfurt kommst? Der höhere Preis dort hat seinen Grund.«
»Mein Onkel sein gereist bis nach Itil im Chasarenreich,und ich selbst sein bereits gewesen in Rheinland und in Kiew. Wenn mein Sohn alt genuk sein, er werden Handelsküter einkaufen in Spanien. Mich nicht schrecken eine Reise.«
Ferne Länder! Dieser kleine Händler fühlte sich überlegen? Nevopor verspürte plötzlich große Lust, ihm die Schätze Rethras zu zeigen, die im Tempel vor jedermanns Augen verborgen waren. Wenn er die Perlen aus rotem Karneol sehen würde, die Ketten aus Bergkristall, die rohen Bernsteinklumpen und die feinen, das Silber, den Bronzeschmuck, die byzantinischen Goldmünzen, die Gürtelschnallen, Riemenzungen und Fibeln, die prachtvollen Spangen, die Anhänger und Amulette aus Gold und Silber, die Kästchen, Armreifen, Seidentücher – es würde sein Geprahle in demütiges Schweigen verwandeln. Aber Nevopor würde ihm nach dem Anblick das Augenlicht nehmen und die Zunge herausreißen müssen, damit er das Ausmaß des Schatzes fortan als Geheimnis in sich trug. Es würde diesen Mann vernichten, der Händler würde am Geheimnis ersticken. »Meinetwegen. Jarich, gib ihm Silber.«
Der Priester öffnete entsetzt den Mund. Er schloß ihn wieder, um zu schlucken, dann stammelte er: »Si-Silber … Nevopor, willst du ihm wirklich Silber …?«
Der Schreck des Händlers schien kleiner zu sein. Er schnalzte freudig mit der Zunge, zog einen Sack vom Bock des Karrens und entnahm ihm eine bronzene Waage: zwei runde Schalen wie Halbkugeln, die an je drei Ketten hingen. Der kleine Mann hielt die Waage an einem Bronzestab in die Höhe, der in der Mitte des Querbalkens mit einem Gelenk befestigt war. Erneut griff er in den Sack und zog eine kugelförmige Kapsel hervor. Er schüttelte sie und
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