Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
weil ich dich achte.«
»Das ist nicht wahr.« Donik musterte ihn. »Du willst mir damit zeigen, daß ich bald sterben werde. Eine Drohung also.«
»Du kannst noch einmal den Geschmack von Nahrung und Wasser auf deiner Zunge spüren. Das hast du dir verdient – wenn du mir sagst, wem du das Pferd übergeben hast.«
Der Linone schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Du wirst die nächsten Tage keine Nahrung bekommen. Dieser Fisch soll das Letzte sein, was du ißt. Wenn du klug bist, verschmähst du ihn nicht. So hältst du ein wenig länger durch, bleibst länger am Leben. Wer ist es, der dich zum Schweigen zwingt? Rede!«
Doniks Lippen blieben geschlossen. Ein abweisender Blick ruhte auf Nevopor.
»Nun gut. Du denkst, ich hasse dich. Dann will ich dir zeigen, daß es nicht so ist. Du sollst die letzte Mahlzeit auch ohne Antwort haben.« Nevopor setzte das Tablett ab und hob den Fisch vor Doniks Mund.
Mißtrauen lag im Blick des Linonen. Er zögerte lange. Dann öffnete er den Mund, ließ sich das fahlrote Fleisch hineinstopfen. Ohne eine Miene zu verziehen, kaute er.
»Ich bedauere sehr, daß unsere Freundschaft auf diese Weise enden mußte.« Nevopor wartete, bis der Linone alles hinuntergeschluckt hatte. Er sah genau, daß Doniks Augen zum Becher wanderten. Nun hatte er Durst. Ein gesalzener Fisch, das machte sehr durstig. »Dieser Becher ist dein letzter.Trink.« Er hob ihn an Doniks Lippen, und der Linone trank gierig. Zweimal schluckte er, Nevopor beobachtete es genau, dann verzog er das Gesicht, fing an zu spucken, zu würgen. »Ja, Salzwasser, sehr viel Salz, und wenig von dem süßen Naß, das du erwartet hast.«
Nevopor schleuderte den Becher zu Boden. Er reckte den Arm zum See hinaus und brüllte, dicht an Doniks Gesicht: »Sieh dir den Lucinsee an, Donik! Das ist viel süßes Wasser, sehr viel. Der Fisch und das Salzwasser haben dich durstig gemacht, aber du wirst noch durstiger werden, jeden Tag mehr. Deine Zunge wird dick anschwellen, du wirst nur schwer atmen können. Dir werden die Lippen aufspringen und die Augen brennen, und jeden Tag wirst du einen kleinen, qualvollen Tod sterben, bis du endgültig vertrocknest. Willst du das?«
Mit großer Kraft preßte Donik die Zähne zusammen. Nevopor konnte die Muskeln der Kiefer sehen, die sich anspannten. Der Linone sah starr in die Ferne. Er atmete schwer, röchelte beinahe. Das Salz hatte seine Wirkung getan, kein Zweifel.
»Ich schneide dich los und lasse dich dort zum Wasser laufen. Du kannst deinen Kopf darin untertauchen, kannst trinken, soviel du willst. Alles, was du dafür tun mußt, ist nur, mir zu sagen, wer der Mann mit den Zahnlücken war und was er hier wollte.«
Keine Antwort.
»Es ist mir ein Rätsel.« Nevopor wendete sich ab vom Pfahl, blickte nun auch auf den See hinaus. »Diese ganzen Jahre – niemand hat mir so treu und ergeben gedient wie du. Ich habe dir vertraut, habe dich mit allem versorgt, was du brauchtest. Nicht einmal hast du dich aufgelehnt. Was ist plötzlich geschehen? Kann ein Besucher all deine Treue vernichten? Was hat er dir gesagt, welche Lüge hat dich vergiftet? Donik, dies ist eine ernste Sache. Rethra ist zu wertvoll, um es Unsicherheiten auszuliefern. Wenn du nicht sprichst, wirst du verdursten, wenige Schritte entferntvom See. Zwinge mich nicht dazu, dich hier sterben zu lassen.« Er drehte sich wieder zu Donik um. »Warum verrätst du mich?«
»Die letzte Mahlzeit! Kein Gift!« Das Gesicht des Linonen zuckte, als sei er um Fassung bemüht. Er ächzte: »Deine Lügen beweisen nur, daß ich richtig handele. Du zitterst, weil dich dein Gewissen anklagt. Sollte ich den Tag der Freude noch erleben, werde ich an ihm meine ersten Worte sagen. Bis dorthin schweige ich, und wenn es meinen Tod bedeutet, so sterbe ich schweigend.« Damit schloß er die Augen, als wollte er sagen, der Hochpriester möge gehen.
Tag der Freude? Gewissen? Was meinte er, worauf bezogen sich diese merkwürdigen Sätze? Was konnte er, Nevopor, getan haben, das den Linonen erzürnte und ihn dazu brachte, sein Leben zu opfern? Und was kam in der Zukunft, das Donik wertvoll genug war, um alles dafür herzugeben? »Sehr bedauerlich, Donik. Ich dachte, in dir mehr Vernunft zu finden. Wer auch immer dir eingeredet hat, ich müßte ein schlechtes Gewissen haben, macht einen großen Fehler. Ich habe stets nach dem Willen Svarožićs gehandelt, und meine Urteilssprüche waren gerecht. Schade, daß du dich so leicht ins Wanken bringen läßt.«
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