Die Principessa
einen Schleier oder Nebel, sah er, wie Marcantonio vor ihm zu Boden sank.
Ein letztes, leises Röcheln, und plötzlich war alles still. Francesco ließ den Hammer fallen. Mit dem Handrücken wischte er sich den Matsch aus den Augen und drehte sich um.
Camillo lächelte ihn an: »Jetzt bin ich aber gespannt, was meine Mutter dazu sagt.«
10
Im Palazzo Pamphili sorgte der Vorfall auf der Lateranbaustelle für helle Aufregung. Seit Camillos Rückkehr war an diesem Abend von nichts anderem die Rede.
»Dass dieser Borromini einen Gehilfen erschlagen hat«, sagte Donna Olimpia, »darüber kann man hinwegsehen – dergleichen kommt vor. Viel schlimmer ist, dass er die Arbeit an der Basilika niedergelegt hat.«
»Wie? Die Arbeit niedergelegt?«, fragte ihr Schwager ungläubig.
»Wer sagt das?«
»Er selbst«, erwiderte Camillo anstelle seiner Mutter, während ein Diener ihm zum dritten Mal vom Fleisch vorlegte. »Er hat die Baustelle verlassen und weigert sich, auch nur einen Stein anzurühren.«
»Der Mensch wagt es, die Arbeit zu verweigern?« Innozenz war außer sich. »Soll der Bischof von Rom das Jubeljahr in einer halb fertigen Kirche begehen?«
»Ich glaube, er ist beleidigt, weil Ihr seine Baustelle nicht besichtigt habt.« Camillo schmatzte. »Wenn es um Lob und Anerkennung geht, ist er eitel wie ein Weib.«
»Und was machen wir jetzt?«, wollte Innozenz wissen.
»Wenn du«, sagte Donna Olimpia, »ich meine, wenn Ihr mich fragt, Heiliger Vater, ich wüsste eine einfache Lösung.«
»So? Und die wäre?«
»Stellt den Borromini vor Gericht und lasst ihn wegen Totschlags verurteilen. Dann sind wir den Quertreiber los.«
»Unmöglich! Wer vollendet dann San Giovanni?«
»Bernini – wer sonst? Der Cavaliere ist ein bewährter Mann.«
Innozenz verzog das Gesicht. »Auch wenn ich ihm den Auftrag für den Brunnen gegeben habe, teile ich Ihre Meinung von diesem Herrn nur mit großem Vorbehalt. Er ist ein Künstler, kein Architekt. Haben Sie den Glockenturm bereits vergessen?«
»Wenn Eure Kirche rechtzeitig fertig werden soll, bleibt Euchkeine Wahl. Wen wollt Ihr sonst ernennen?« Donna Olimpia hob ihre Hand und zählte an den Fingern ab. »Der alte Rainaldi ist zu alt, sein Sohn zu jung, und zusammen kommen sie nicht in Frage, weil sie ewig streiten. Algardi ist noch weniger Architekt als Bernini, und Pietro da Cortona ist nicht Manns genug, ein so großes Unternehmen zu leiten. Also bleibt nur der Cavaliere.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt keine andere Lösung, nicht bei der gebotenen Eile. Oder wisst Ihr etwa eine?«
Clarissa, die das Tischgespräch schweigend verfolgte, war so bestürzt, dass sie kaum einen Bissen hinunterbekam. Francesco Borromini, der Mann, den sie ihren Freund nannte, hatte einen Menschen erschlagen! Wie konnte es sein, dass er sich zu einer so fürchterlichen Tat hinreißen ließ? Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie die Gabel hinlegen musste, und während sie versuchte, ihrer Erregung Herr zu werden, stieg eine weitere Frage in ihr auf, lauernd wie ein unsichtbarer Feind: Trug sie Mitschuld an der Katastrophe, die in dem Gotteshaus geschehen war?
»Und was wäre«, fragte sie laut, »wenn Signor Borromini die Arbeit in San Giovanni wieder aufnehmen würde?«
Am nächsten Tag machte Clarissa sich auf den Weg zum Palazzo di Propaganda Fide. Sie war sicher, Borromini dort anzutreffen, denn das Kolleg, in dem sämtliche Missionare Roms ausgebildet wurden, war seine zweitgrößte Baustelle nach der Laterankirche. Während sie in ihrer Kutsche über die Piazza di Spagna fuhr, an der sich der ernste, machtvolle Palast erhob, spürte sie, wie ihre Nervosität wuchs. Berninis Palazzo war nur einen Steinwurf von der Propaganda Fide entfernt.
Als sie aus dem Gefährt stieg, vermied sie den Blick in die Via della Mercede. Sie wollte nicht daran erinnert werden, wie sie diese Straße einmal im Morgengrauen betreten hatte. Doch auch ohne seinen Palast zu sehen, drängte sich der Mann, an den sie jetzt als Letzten denken wollte, von überall her in ihr Bewusstsein: Die Fassade des Palazzo Ferratini, die vor ihr emporragte, hatte Bernini genauso erschaffen wie die Drei-Königs-Kapelle,die Clarissa durchqueren musste, um zu der Baustelle im Wohntrakt der Klosterschüler zu gelangen. Und in der Tat traf sie hier Borromini, der sich mit einem Maurer besprach.
»Wir müssen die Zellen der Alumnen durch einen Korridor von den Läden abtrennen. Sonst können die dort einkaufenden
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