Die Principessa
stets mit derselben aufmerksamen Zuvorkommenheit wie in all den Jahren bisher, erkundigte sich nach ihrem Befinden, nach ihren Bedürfnissen, nach ihren Wünschen und tat scheinbar alles, was in ihren Kräften lag, um zu ihrem seelischen und leiblichen Wohlergehen beizutragen. Das Unheimliche dabei war nur, dass sie Clarissa nie aus den Augen ließ. Bei den Mahlzeiten nahm sie neben ihr Platz, sie leistete ihr Gesellschaft beim Sticken und Lesen, ja sie suchte sie sogar in ihrem Observatorium auf und ließ sich von ihr die Sterne zeigen, obwohl sie früher keinerlei Sinn für die Himmelskunde zu erkennen gegeben hatte. Und nicht nur im Haus blieb sie stets in ihrer Nähe, auch wenn Clarissa den Palazzo Pamphili verließ, konnte sie fast sicher sein, dass Olimpia sie begleitete, um jede ihrer Bewegungen zu beobachten, jedes Wort zu registrieren.
Allmählich empfand Clarissa die ständige Gegenwart ihrer Cousine wie eine geheime Drohung. Noch schlimmer aber war es, wenn dringende Geschäfte Donna Olimpia zwangen, sie alleinzu lassen. In diesen Stunden war es Clarissa, als lauere hinter jeder Tür, hinter jedem Vorhang eine unbekannte Gefahr. War sie ihres Lebens überhaupt noch sicher? Ihre Nerven waren so überreizt, dass sie bei dem leisesten Geräusch zusammenzuckte, und sprach jemand sie von hinten an, erschrak sie fast zu Tode.
Wie gerne hätte sie sich einem Menschen anvertraut! Doch niemand war da, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Lorenzo Bernini hatte seit seinem Auftritt mit der Engelstrompete nicht mehr bei ihr vorgesprochen, und auch Francesco Borromini hielt sich von ihr fern. Schämte er sich vor ihr, weil er den Arbeiter erschlagen hatte? Sie kannte ihn ja und ahnte, wie sehr ihn seine Tat belasten musste, auch wenn die Römer dazu schwiegen. Oder mied er sie, weil sie ihn durch ihr Verhalten verletzt hatte und er sie nicht mehr sehen wollte?
Clarissa wusste es nicht. Sie redete sich ein, dass der Umbau von San Giovanni ihn jede Minute in Beschlag nahm. Durch die Gespräche bei Tisch erfuhr sie regelmäßig von den Fortschritten seiner Arbeit, bereits im August waren die Stuckarbeiten in der Laterankirche vollkommen abgeschlossen – doch in ihrem Herzen wusste sie nur zu genau, dass es andere Gründe waren, die Borrominis Ausbleiben bestimmten. Sie fühlte sich so allein auf der Welt wie ein Vogel, der aus seinem Nest gefallen war. Nicht einmal ihrem Beichtvater, der sie regelmäßig besuchte, wagte sie sich zu offenbaren; Monsignore Spada war ja nach Olimpia der engste Vertraute des Papstes, und wer wusste, wenn ihr schlimmer Verdacht der Wahrheit entsprach, war vielleicht sogar Innozenz an der Ermordung seines Bruders beteiligt.
So blieben Clarissa nur die Sterne und das Gebet. Sie verbrachte ihr Leben zwischen Kapelle und Observatorium, zwischen Andacht und Himmelsbetrachtung, und mochte ihr dieses Leben, sofern es Tätigkeiten und Aufgaben kannte, auch bisweilen fast wie ein wirkliches Leben erscheinen, hatte es doch weder Ziele noch Sinn. Obwohl es Jahre so hätte weitergehen können, hatte Clarissa trotzdem ständig das Gefühl, es wäre besser, wenn esaufhören würde. Denn wen gab es, dem sie die Sterne hätte zeigen können? Für wen sollte sie sich bei Gott verwenden?
Während die Herbststürme die Blätter von den Bäumen rissen, trat ein Ereignis ein, das Donna Olimpias Aufmerksamkeit für einige Zeit von Clarissa ablenken sollte. Die andere Olimpia, die schöne Fürstin Rossano, war schwanger; ihr gewölbter Bauch hatte die letzten Zweifel an der Zeugungsfähigkeit des jungen Kardinals Pamphili zunichte gemacht. Donna Olimpia war über diesen offenkundigen Verrat ihres Sohnes so erbost, dass sie bei Innozenz die Verbannung Camillos und seiner Metze aus Rom bewirkte und jedem im Palazzo verbot, den Namen des Kardinals zu erwähnen. Als aber am zweiten Advent die Nachricht von der Geburt eines gesunden Enkels an ihr Ohr drang, zeigte sie sich plötzlich versöhnlich. Sie bewirkte die Erlaubnis, dass Camillo in die Stadt zurückkehren und den Purpur ablegen durfte, und damit ihr Enkel einst als rechtmäßiger Stammhalter der Familie Pamphili Anerkennung finden würde, willigte sie sogar in die Eheschließung ein, die in der vierten Adventwoche mit so großem Aufwand gefeiert wurde, dass die Festgäste sich fragten, mit welchen Mitteln Donna Olimpia eine so prachtvolle Hochzeit finanziert haben mochte.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Zumindest Clarissa sollte sie bald
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