Die Principessa
Heiligtum!«
»Heiligtum? Höre ich richtig? Bist du ein Christ oder Heide?«
Gemeinsam mit seinem Vater Pietro beaufsichtigte Lorenzo Bernini die Abrissarbeiten am Pantheon. Um die Unmengen an Bronze zu beschaffen, die er für den Hochaltar von Sankt Peter brauchte, war er darauf verfallen, die Bronzebalken aus dem Dachstuhl der Vorhalle einzuschmelzen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die überzähligen Bronzerippen, die er aus der Peterskuppel entfernen konnte, nicht genügend Material hergaben. Aus unerfindlichen Gründen – vielleicht, um seinen Widersacherzu demütigen, vielleicht auch einfach aus Altersschwachsinn – hatte ausgerechnet Maderno den Papst auf die Möglichkeit hingewiesen, den heidnischen Tempel zu plündern, um damit die größte Kirche der Welt zu schmücken. Als Mann mit humanistischen Neigungen war für Urban die Vorstellung zwar abstoßend, doch als Oberhaupt der Christenheit erkannte er die große Symbolkraft eines solchen Aktes und gab schließlich seinen Segen.
»Also, komm mir jetzt nicht damit!«, sagte Lorenzo und legte einen Arm um die Schulter seines Vaters, eines kleinwüchsigen Mannes mit schon schütterem Haar, der die sechzig überschritten hatte. »Sag mir lieber, dass du eine Lösung für das Fundament gefunden hast!«
Pietro schüttelte den Kopf. »Nein, mein Sohn, tut mir Leid.«
»Aber warum zum Teufel nicht?«, brauste Lorenzo auf. »Ich habe dir schon tausendmal gesagt, wie dringend ich sie brauche.«
»Ganz einfach: Weil es keine Lösung gibt.«
»Unsinn! Blödsinn! Schwachsinn!« Lorenzo ließ seinen Vater stehen und begann mit wütenden Schritten auf und ab zu gehen. »Es muss eine Lösung geben – muss, muss, muss! Stell dir vor, ich zerstöre das Petrus-Grab – Urban bringt mich um! Oder schlimmer noch« – mit dem Ausdruck des Entsetzens blieb er stehen, vom Blitz des eigenen Gedankens getroffen –, »es stellt sich heraus, dass es gar kein Grab gibt! Dass sein geliebter Petersdom an der falschen Stelle steht! Dann lässt er mich häuten und vierteilen!«
»Endlich fängst du an zu begreifen«, sagte Pietro. »Ich beschwöre dich, gib auf! Das ganze Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt!«
»Scheitern?« Lorenzo schnellte mit funkelnden Augen zu ihm herum. »Das kommt nicht in Frage! Wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa zum Papst gehen und sagen: ›Entschuldigung, Eure Heiligkeit, es tut mir sehr Leid, aber mein Vater ist zu dumm, um die Berechnungen anzustellen?‹ Herrgott noch mal! Bist du ganz bei Trost? Urban hat schon einen Vertragaufsetzen lassen und drängt mich jeden Tag, ihn zu unterschreiben.«
»Und was sagst du ihm?«
Lorenzo zuckte mit den Achseln. »Was soll ich ihm sagen? Ich halte ihn natürlich hin, wiege ihn in Zuversicht.«
»Dann hör damit auf!« Pietro fasste seinen Sohn bei beiden Schultern und sah ihn fest an. »Glaub mir, ich bin ein alter Mann und kenne das Leben. Du musst dein Scheitern eingestehen, bevor du halb Rom für diesen Wahnsinn abreißt und alles zu spät ist.«
»Aufhören? Bin ich verrückt geworden?« Wieder funkelten Lorenzos Augen. Doch plötzlich, so rasch wie ein Wetterwechsel im April, verschwand der trotzige Ausdruck aus seinem Gesicht. »Komm, Papa, du darfst mich jetzt nicht im Stich lassen! Du hast bis jetzt doch immer eine Lösung gefunden. Weißt du noch«, fragte er dann mit einem warmen, zärtlichen Lächeln, »wie du mich zum ersten Mal Papst Paul vorgestellt hast? Und wie stolz du auf mich warst, als ich für ihn den Kopf seines Namenspatrons malte und alle Kardinäle vor Begeisterung klatschten? Ich war damals noch keine zehn Jahre.«
»Wie könnte ich das je vergessen?« Die Erinnerung verklärte Pietros Gesicht. »Ja, ich habe getan, was in meinen Kräften stand, damit aus dir etwas wurde. Alles, was ich selber kann und weiß, habe ich dir beigebacht. Ich habe sogar meine eigenen Werke als die deinen ausgegeben, damit sich dein Ruhm schneller verbreitete.« Mit einem Seufzer holte er Atem. »Aber jetzt kann ich dir nicht mehr helfen. Jetzt musst du lernen, erwachsen zu werden!«
»Erwachsen werden?«, rief Lorenzo empört. »Dafür ist jetzt keine Zeit!« Dann, mit derselben Plötzlichkeit, mit der eben noch sein Trotz der liebevollen Erinnerung gewichen war, wurde seine Stimme leise, fast gefährlich. »Ich warne dich, Papa. Wenn der Papst mich ruiniert, ist es deine Schuld. Kannst du das verantworten?«
Er sah ihn in Erwartung eines erlösenden Wortes eindringlich an,
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