Die Principessa
lächeln und möchte laut aufschreien.«
»Ein Cherub, der unter seinem Schicksal leidet? Was für ein seltsamer Gedanke! Ich dachte, die Cherubine sind die Lieblingsengel Gottes und immer in seiner Nähe. Da muss er doch glücklich sein!«
»Glauben Sie das wirklich?«, fragte er zurück und sah sie ernst an, diesmal ohne ihrem Blick auszuweichen. »Glauben Sie wirklich, dass es ihn glücklich macht, so nahe bei Gott zu sein? Oder ist es nicht vielmehr eine Qual für ihn? Auch wenn er vollkommener ist als alle anderen Geschöpfe des Himmels, ist er doch im Vergleich zu Gott ein unvollkommenes Wesen. Wie soll er da den Anblick der göttlichen Vollkommenheit ertragen? Bis in alle Ewigkeit? Ist das nicht eine grausame, entsetzliche Strafe, nur dazu angetan, die eigene Unvollkommenheit, die eigene Erbärmlichkeit und Nichtigkeit umso fürchterlicher zu empfinden?«
Während er redete, sprach aus seinen Augen eine unendliche Trauer, und plötzlich hatte Clarissa das Gefühl, dass er gar nicht diesen Cherub meinte. Vielleicht war der Engel, den er da schuf, nur ein Abbild seiner eigenen Seele? Aber wenn das so war: Was gab es, was
ihn
so quälte? Was verbarg er hinter seiner schüchternen, ja abweisenden Art?
Sie lächelte ihn an, aber das schien ihn nur zu irritieren, denn er senkte abermals den Blick. Clarissa ärgerte sich. Warum lächelte er nicht zurück? Doch schon im nächsten Augenblick war ihre Verstimmung verflogen. Ohne zu wissen, warum, erfasste sie eine warme Woge der Zuneigung zu diesem Mann, und miteinem Mal verspürte sie den heftigen Wunsch, ihm ein Lächeln zu entlocken. Und sie hatte auch schon eine Idee. Er war Künstler, und Künstler hörten nichts lieber als Komplimente.
»Wissen Sie eigentlich, wie berühmt Sie in meiner Heimat sind?«, fragte sie.
»Ich? Berühmt«, fragte er, noch irritierter, zurück. »Sie müssen mich verwechseln. Ich bin nur ein einfacher Steinmetz.« Unwirsch griff er nach seinen Werkzeugen und nahm seine Arbeit wieder auf.
»Mir machen Sie nichts vor!« Sie lachte. »Jeder gebildete Engländer kennt Ihren Namen: Michelangelo Buonarroti!«
Sie rief den Namen so laut, dass die Mauern davon widerhallten. Er aber ließ Schlägel und Meißel sinken und sah sie völlig entgeistert an.
»Da staunen Sie, nicht wahr?«, sagte sie triumphierend. »Aber es war gar nicht schwer, das herauszufinden. Ich habe mich einfach bei Ihren Handwerkern erkundigt, wo ich den berühmten Michelangelo …«
Ein schallendes Gelächter, das plötzlich aus dem Kirchenschiff heraufdrang, unterbrach sie. Verwirrt blickte sie hinab und sah die Arbeiter, die sich vor Lachen den Bauch hielten und zu ihr in die Höhe zeigten. In derselben Sekunde begriff sie ihren Fehler. »Oh, das tut mir Leid. Ich glaube, ich habe eine entsetzliche Dummheit gemacht.« Fieberhaft dachte sie nach, was sie nun sagen sollte. Aber was konnte sie in dieser Situation nur sagen? »Sicher … sicher haben Sie einen viel schöneren Namen. Würden Sie ihn mir verraten?«
»Castelli«, antwortete er mit versteinerter Miene. »Francesco Castelli …« Aber noch während er sprach, begannen seine Züge zu zucken; dann fing er plötzlich an zu husten, so heftig, dass sein Gesicht rot anlief und er sich vornüber krümmte, als müsse er sich erbrechen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie und eilte über die Bretter zu ihm.
Er hob die Hände in die Höhe, als brächte sie ihm Unheil.»Lassen Sie mich … bitte«, stieß er unter Husten hervor. »Gehen Sie … bitte … lassen Sie mich allein!«
Was hatte sie nur angerichtet? Er blickte sie an wie ein verletztes Tier, die Augen, die vor Anstrengung aus den Höhlen traten, verrieten gleichzeitig Stolz und Scham. Als sie diesen Blick sah, erkannte sie, dass sie jetzt nur eins für ihn tun konnte. Sie wandte sich ab, und so rasch es ging, kletterte sie von dem Gerüst und eilte zur Kirche hinaus, begleitet von seinem bellenden Husten und dem Gelächter der Arbeiter.
Den ganzen Heimweg ging ihr der Mann nicht aus dem Kopf. Wie konnte er nur behaupten, nur ein Steinmetz zu sein? Wer eine Figur wie diesen Cherub erschuf, war ein Künstler, vielleicht sogar ein Architekt. Schade, dass sie ihn nie wiedersehen würde.
Wie hatte er noch mal geheißen?
10
»Das wird einen Aufstand geben! Das lassen die Römer sich nicht gefallen!«
»Komm mir jetzt nicht mit neuen Problemen! Ich habe genug mit den alten zu schaffen.«
»Aber die Römer lieben diesen Tempel. Er ist ihr
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