Die Principessa
geträumt hatte. Doch während der Morgenmesse, die sie mit William in Sant’ Andrea della Valle unweit der Piazza Navona besuchte, wusste sie: Nein, sie hatte nicht geträumt – das Bild verfolgte sie mit solcher Macht, dass sie kaum imstande war, die Gebete mitzusprechen. In ihr brannte ein Verlangen, eine unbestimmte, doch unabweisbare Begierde, die sie noch nie in ihrem Leben gespürt hatte, ein Drängen und Sehnen, das sich auf nichts und gleichzeitig alles zu richten schien, ein Gefühl ahnungsvoller Unruhe und erregender Ungewissheit. So völlig anders als jenes beklemmende Gefühl, das sie empfand, wenn sie an die Ehe mit Lord McKinney dachte. Hatte das etwas mit den geheimen Dingen zu tun, die zwischen verheirateten Männern und Frauen geschahen und über die ihre Eltern immer schwiegen?
Auch William, ihr Begleiter, war an diesem Morgen in heller Aufregung, obwohl aus ganz anderen Gründen. Nach der Messe auf dem Rückweg zum Palazzo Pamphili wusste er nicht, worüber er sich mehr empören sollte: über Clarissas Leichtsinn oder über Donna Olimpia, die ihrer beider Entdeckung durch denGesandten offenbar gezielt herbeigeführt hatte? Er beklagte die Verschlagenheit dieser Frau, die seine baldige Rückkehr in die geliebte englische Heimat nun für unbestimmte Zeit vereitelt hatte, und schwor sowohl beim Plumpudding seiner Mutter wie auch beim Ruhm seines literarischen Werkes, künftig ein Auge auf sie zu haben, als Clarissa einen Augenblick seiner Unachtsamkeit nutzte, um seiner Obhut zu entfliehen.
Ziellos, ohne zu wissen, wohin, allein geführt von diesem fremden Verlangen, eilte sie durch die Straßen der labyrinthischen Stadt, die tausend Genüsse und tausend Gefahren verhießen.
8
Mit der Sicherheit, die er in vielen Jahren auf all den Baustellen in Mailand und Rom erworben hatte, kletterte Francesco auf das Gerüst, um in luftiger Höhe den Cherub zu vollenden, an dem er seit zwei Tagen arbeitete, wann immer ihm das eintönige Ausmeißeln stets gleicher Wappen, Putti oder Festons Zeit dazu ließ. Er hatte schon Dutzende solcher Köpfe geformt, an der Fassade des Doms und in der Vorhalle, doch dieser war etwas Besonderes. Während die anderen Cherubine alle gleich aussahen – einfältige Engelsgesichter von unwirklicher Heiligkeit, ohne eigenen Ausdruck –, konnte er diesen hier oben, den strengen Blicken seines Lehrherrn entzogen, ganz nach seinen Vorstellungen modellieren.
Francesco kniete auf dem Gerüst nieder und begann zu meißeln. Wenn Maderno ihn nur ließe, wie er wollte! Er hatte so wunderbare Ideen und Pläne, viele davon schon fertig gezeichnet, doch nichts davon durfte er je verwirklichen, weder hier in der Peterskirche noch im Palazzo Barberini oder auf einer anderen Baustelle. Immer nörgelte sein Lehrherr an ihm herum, er müsse lernen, die alten Meister kopieren, vor allem natürlich ihn selbst,und statt ihn auch nur eine einzige Aufgabe selbstständig durchführen zu lassen, pochte er starrsinnig darauf, dass Francesco sich peinlich genau an seine Vorgaben hielt und keinen Millimeter davon abwich. Dabei fiel Maderno überhaupt nichts Neues mehr ein. Seine Entwürfe waren so langweilig, dass Francesco gar nicht mehr hinsehen musste, um sie auszuführen.
Kein Wunder, dass der neue Papst Bernini mit dem Hochaltar beauftragt hatte. Seit Francesco dessen Plan gesehen hatte, wollte er ihm nicht mehr aus dem Kopf. Im Vergleich dazu nahmen sich Madernos Entwürfe wie die Versuche eines unsicher tastenden Kindes aus. Diese Leichtigkeit und Eleganz! Obwohl der Altar wunderbar durchsichtig war, um den gewaltigen Raumeindruck von Kuppel und Vierung zu wahren, ging er doch nicht darin verloren. Heimlich hatte Francesco Berechnungen angestellt, zur Statik des Fundaments und des Baldachins, Probleme, für die Berninis Plan noch keine Lösung vorsah.
Ob er seine Ergebnisse Bernini zeigen sollte? Oder war das Verrat?
Plötzlich schrak Francesco aus seinen Gedanken auf. Schritte näherten sich auf dem Gerüst. Kaum hatte er sich hierher zurückgezogen, kam schon jemand, ihn zu stören!
Als er sich umdrehte, blieb ihm das Herz stehen. Wie ein Engel, der vom Himmel herabgestiegen war, näherte sich ihm eine junge Frau, blond gelockt und ein Lächeln im Gesicht, wie es selbst Michelangelo nicht schöner hätte zaubern können. Ein Gesicht von so zarten Farben und solcher Anmut, dass es nicht von dieser Welt sein konnte.
Francesco kniete da, Schlägel und Meißel in der Hand, unfähig sich zu
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