Die Principessa
Würde Pamphili es schaffen? Das Konklave beriet und beriet, täglich wurden neue Namen möglicher Kandidaten genannt, um gleich wieder verworfenund durch abermals neue ersetzt zu werden. Astrologen und Weissager wurden zu Rate gezogen, und mit ihnen drangen die widersprüchlichsten Gerüchte in den Palast. Urbans Herrschaft wirkte noch über seinen Tod hinaus. Achtundvierzig seiner Kreaturen waren unter den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle vertreten, nie hatte es bei einem Konklave eine stärkere Fraktion gegeben. Dennoch gelang es ihnen nicht, den Mann ihrer Wahl, Kardinal Sacchetti, durchzusetzen: Die Skrutinen fielen von Tag zu Tag ungünstiger aus – ein Vorteil für Pamphili. Dem aber haftete der Ruf an, zur spanischen Seite zu neigen, weshalb die französischen Kardinäle gegen ihn stimmten. Er brauchte also die Unterstützung der Barberini, doch wie sollte das gelingen?
»Pamphili ist ein allzu redlicher Mann«, sagte Donna Olimpia ungehalten, während sie im Salon auf und ab ging. »Er täte gut daran, sein Herz nicht immer auf der Zunge zu tragen.«
»Aber darf ein Kardinal«, fragte Clarissa, »sich verstellen, wenn er Papst werden will?«
»Manchmal ist es Gottes Wille. Papst Sixtus zum Beispiel war ein außergewöhnlich gelehrter Mann, doch gab er sich als Kardinal stets einfältig, damit man ihn wählte.«
An einem Tag im September – Olimpia hatte sich am Morgen mit einem Nepoten Urbans zurückgezogen – hatte Clarissa endlich Gelegenheit, für ein paar Stunden ihrem Gefängnis zu entkommen. Als sie auf die Straße trat, fühlte sie sich wie ein Mensch, der nach einem langen, dunklen Winter erstmals wieder das Licht der Sonne erblickt. Wie herrlich es war, die frische Luft zu atmen statt den modrigen Geruch, der den Mauern des Palazzo Pamphili immer noch entströmte.
Olimpia hatte gesagt, dass sie bis zum Abend mit dem Prälaten beschäftigt sei, um eine Einigung mit den Barberini herbeizuführen. Also hatte Clarissa einen halben Tag für sich. Wofür wollte sie ihn nützen? Sie brauchte keine Sekunde zu überlegen: Sie würde nach Sankt Peter gehen. Wer weiß, vielleicht würde sie dort Signor Borromini treffen, und wenn nicht, konnte sie imDom ebenso gut ihre Gebete verrichten wie in jeder anderen Kirche der Stadt.
Sie überquerte die Piazza Navona und bog in eine Gasse ein, die in die Richtung des Tibers führte. Wie sehr Olimpia doch übertrieben hatte! Von plündernden Söldnern und Räubern keine Spur; wohin Clarissa schaute, sah sie Handwerker und Hausfrauen, die friedlich ihren Geschäften nachgingen. Nur auf der Piazzetta am Ende der Gasse, wo ein paar Bauern Obst und Gemüse verkauften, drängte sich neben einem Schneiderladen eine Menschenmenge. Doch das war nichts Besonderes – dort stand der »Pasquino«. Der verwitterte Marmortorso war in der ganzen Stadt bekannt, denn sein grauer Leib war stets mit Zetteln übersät: Die Römer verkündeten auf ihnen ihre Meinung zu Ereignissen, zu denen sie sich öffentlich nicht zu äußern wagten. Ein schallendes Gelächter drang von dort herüber.
Neugierig trat Clarissa näher. Ein kleiner Apotheker mit Augengläsern auf der Nase las gerade laut einen der vielen Zettel vor.
»Ah, da haben wir ja etwas über Donna Olimpia!«, rief er und rückte den Zwicker zurecht.
»
Olimpia
ist ihr Name, denn o
lim
war sie
pia
.«
Clarissa horchte auf. War wirklich ihre Cousine gemeint? Während der Apotheker und seine Zuhörer sich vor Lachen bogen, versuchte sie das Wortspiel zu begreifen.
»Olim«
hieß »einst« und
»pia«
hieß »fromm« – so viel Latein konnte sie allemal. Doch was sollte das heißen? Verärgert drängte sie sich vor und riss den Zettel von der Marmorfigur.
»Das ist eine Frechheit! Donna Olimpia ist eine ehrbare Frau!«
»Ehrbare Frau?«, erwiderte der Apotheker. »So ehrbar wie Cleopatra!«
Wieder lachte die Menge. Clarissa verstand überhaupt nichts mehr.
»Dieses scheinheilige Biest!«, meckerte der Schneider durch sein offenes Fenster. »Erst vergiftet sie ihren Mann, dann kriecht sie zu ihrem Schwager ins Bett!«
»Aber nur zum Ruhme Gottes!«
»Damit Pamphili weiß, wie die Englein singen, wenn er Papst wird!«
Clarissa verschlug es die Sprache. So etwas Widerwärtiges hatte sie ihr Lebtag nicht gehört. Olimpia sollte ihren Mann vergiftet haben? Wie konnten diese Menschen es wagen! Clarissa sah zwei Sbirren auf der anderen Seite des Platzes und wollte sie rufen, damit sie diesen Ungeheuerlichkeiten ein
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