Die Principessa
versteinerten Gesicht, als hätte sie Englisch mit ihm gesprochen. Nur die tiefe Falte auf seiner Stirn verriet, dass ihre Worte überhaupt an sein Ohr gedrungen waren. Wenn nur dieser verdammte Stolz nicht wäre, dachte Clarissa, der war das Schlimmste an ihm – und zugleichder Grund, weshalb sie solche Achtung vor ihm hatte. Entschlossen nahm sie seine Hand und sagte: »Versöhnen Sie sich mit Bernini! Bitte! Wenn Sie es nicht um Ihrer Träume willen tun, dann tun Sie es meinetwillen! Sie wissen ja nicht, was für mich davon abhängt …«
16
Am 9. Oktober des Jahres 1645 trat die päpstliche Baukongregation zu ihrer zweiten Sitzung zusammen. Mit wenigen Worten begrüßte Innozenz die anwesenden Kardinäle sowie die Mitglieder der Gutachterkommission, dann wurde es so still im Saal, dass man die Vögel draußen durch die geschlossenen Fenster zwitschern hörte. Alle Blicke waren auf Francesco Borromini gerichtet, der an diesem Tag sein Gutachten vortragen sollte. Mit ernstem Gesicht ordnete er seine Unterlagen. Sein Votum würde über das Schicksal des Turmes entscheiden.
»Wenn Sie bitte anfangen wollen?«, erteilte Virgilio Spada ihm das Wort.
Äußerlich ein Sitzungsteilnehmer wie die anderen auch, tatsächlich aber von diesen getrennt durch jene unsichtbare Wand, die die Welt der Ankläger von derjenigen der Beschuldigten scheidet, saß Lorenzo Bernini am unteren Ende des Tischs, an dem die Gutachter versammelt waren, aufmerksam beobachtet von den Kardinälen unter Vorsitz des Papstes. Seine Nerven waren auf das Äußerste angespannt. Die Strafe, die ihm drohte, belief sich auf zehntausend Scudi, und sollte sie tatsächlich verhängt werden, würden außerdem noch die Baukosten des Turms von einhundertfünfzigtausend Scudi auf ihn entfallen. Er wäre für den Rest seines Lebens ruiniert.
Lorenzo hatte darum getan, was er konnte. Artusini und Rainaldi, die ihre Gutachten bereits in der letzten Sitzung vorgetragenhatten, wusste er auf seiner Seite. Fontana, Longhi und Bolgi waren Künstler, die nach ästhetischen Kriterien urteilten und zweifellos für ihn votieren würden. Aber es gab auch wacklige Kandidaten wie Marischello, Mola und Moschetti. Zum Glück litten Mola und Moschetti an chronischer Geldnot, weshalb Lorenzo ihnen vor der Sitzung jeweils fünfhundert Scudi hatte zukommen lassen. Aber reichte das aus? Er schickte ein Stoßgebet zu Gott, an den er in diesem Augenblick tatsächlich glaubte, und flehte ihn an, das Schicksal zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
»Beginnen wir mit dem Baugrund«, setzte Borromini zu seinem Vortrag an. »Der Boden unter dem Fundament besteht aus kompaktem Lehm, die Baugrundpressung ist hier nicht stärker als andernorts. Zwar hat sich in einer Ebene des Fundaments der Kalk aus dem Mörtel gelöst, doch befindet sich die unterste Schicht in relativ gutem Zustand …«
Lorenzo atmete auf. Borromini sprach ruhig und sachlich, ohne persönliche Angriffe oder Vorwürfe gegen ihn zu erheben. Sicher, er sparte nicht mit Kritik, deckte die Fehler in der Bauplanung, die Lorenzo sich hatte zuschulden kommen lassen, ebenso schonungslos auf wie mangelnde Sorgfalt bei der Baudurchführung, aber – und das war entscheidend – er deutete zugleich Maßnahmen an, die geeignet schienen, den Turm zu erhalten.
»Der Campanile wurde mit Eisenhaken und Vermauerungen an die Fassade angeschlossen. Durch die nachgebenden Fundamente entstanden allerdings Zugspannungen, die sich durch die Verankerung auf die Fassade übertragen mussten. Dadurch kam es zu den Rissen. Wie kann diesen Kräften nun entgegengewirkt werden? Hier kommt vor allem eine Verstärkung und zusätzliche Abstützung der südwärts gelegenen Fundamente in Betracht …«
Hatte Gott sein Stoßgebet erhört? Eine Woge der Zuneigung wallte in Lorenzo auf. Der da am oberen Ende des Tisches sein Gutachten vortrug, war nicht sein Rivale, sondern sein alterWeggefährte! Je länger Francesco sprach, desto stärker fühlte Lorenzo sich in frühere Zeiten zurückversetzt: Es war genauso wie damals, als er mit dem Hochaltar von Sankt Peter nicht mehr weiter wusste und Francesco ihm erklärte, wie er die Konstruktion des Baldachins verändern musste, damit die Säulen darunter nicht einknickten, und wie damals fühlte er auch jetzt Zentnerlasten von seinen Schultern weichen. Tränen schossen ihm in die Augen, und er musste schlucken. Er hatte es immer gewusst: Es war etwas Schicksalhaftes, das ihn und Francesco miteinander verband. So
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