Die Prinzen von Amber (5 Romane in einem Band)
ehe er zu Ende gesprochen hatte, begann das laute Knirschen, und nach kurzer Zeit knallte das eisenbeschlagene Gebilde auf unserer Seite des Grabens auf den Boden. Ein letztesmal hob ich meinen Schützling auf und trug ihn hinüber.
So brachte ich Sir Lancelot du Lac in die Burg Ganelons, dem ich vertraute wie einem Bruder. Nämlich überhaupt nicht.
Überall bewegten sich Menschen, und ich fand mich von Bewaffneten eingekreist. Doch sie strahlten keine Feindseligkeit aus, sondern waren lediglich besorgt. Ich befand mich in einem großen kopfsteingepflasterten Innenhof, der voller Schlafsäcke lag. Fackeln verbreiteten ein unruhiges Licht. Ich roch Schweiß, Rauch, Pferde und Küchendünste. Eine kleine Armee hatte hier ihr Lager aufgeschlagen.
So mancher Mann war herbeigekommen und hatte mich mit aufgerissenen Augen murmelnd und flüsternd angestarrt, doch schließlich kamen zwei, die voll bewaffnet waren, als wollten sie in den Kampf ziehen. Einer berührte mich an der Schulter.
»Hier entlang«, sagte er.
Ich setzte mich in Bewegung, und sie nahmen mich in die Mitte. Der Menschenwall teilte sich. Die Zugbrücke bewegte sich bereits wieder rasselnd empor. Wir näherten uns dem düsteren Hauptgebäude.
Drinnen schritten wir durch einen Flur und passierten eine Art Empfangszimmer. Dann erreichten wir eine Treppe. Der Mann zu meiner Rechten bedeutete mir, daß ich emporsteigen solle. Im ersten Stockwerk blieben wir vor einer massiven Holztür stehen, und der Wächter klopfte an.
»Herein!« rief eine Stimme, die mir leider nur allzu bekannt vorkam.
Wir traten ein.
Er saß an einem schweren Holztisch vor einem breiten Fenster, durch das man auf den Hof hinabblicken konnte. Er trug eine braune Lederjacke über schwarzem Hemd; die Hosen waren ebenfalls schwarz und bauschten sich über den Schäften seiner dunklen Stiefel aus. Um die Hüften trug er einen breiten Gürtel, in dem ein Dolch mit Horngriff steckte. Ein Kurzschwert lag auf dem Tisch vor ihm. Sein Haar und Bart waren rot und zeigten erste graue Strähnen. Die Augen waren dunkel wie Ebenholz.
Er blickte mich an und wandte sich dann zwei Wächtern zu, die mit der Bahre eintraten.
»Legt ihn auf mein Bett«, sagte er und fuhr fort: »Roderick, kümmere dich um ihn.«
Roderick, sein Arzt, war ein alter Mann, der nicht den Eindruck machte, als könne er großen Schaden anrichten, was mich doch etwas erleichterte. Ich hatte Lance nicht die weite Strecke getragen, um ihn hier etwa unter den Händen eines Kurpfuschers verbluten zu lassen.
Schließlich wandte sich Ganelon wieder an mich.
»Wo habt Ihr ihn gefunden?« fragte er.
»Fünf Meilen südlich von hier.«
»Wer seid Ihr?«
»Ich werde Corey genannt«, erwiderte ich.
Er musterte mich ein wenig zu eingehend, und unter dem Schnurrbart deuteten seine wurmähnlich zuckenden Lippen ein Lächeln an.
»Was ist Eure Rolle bei dieser Sache?« wollte er wissen.
»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, entgegnete ich.
Ich ließ absichtlich die Schultern hängen und sprach langsam und stockend. Mein Bart war länger als der seine und völlig verschmutzt. Ich bildete mir ein, daß ich wie ein alter Mann aussehen müßte. Seine Haltung deutete darauf hin, daß er ebenfalls diesen Eindruck hatte.
»Ich möchte wissen, warum Ihr ihm geholfen habt«, sagte er.
»Nächstenliebe und so weiter«, erwiderte ich.
»Ihr seid Ausländer?«
Ich nickte.
»Nun, Ihr seid hier willkommen, solange Ihr bleiben möchtet.«
»Vielen Dank. Ich werde wahrscheinlich schon morgen weiterziehen.«
»Zunächst setzt Euch aber auf ein Glas Wein zu mir und erzählt mir von den Umständen, unter denen Ihr ihn gefunden habt.«
Und das tat ich.
Ganelon unterbrach mich nicht, und die ganze Zeit über waren seine stechenden Augen auf mich gerichtet. Während mir der Vergleich ›Blicke wie Dolchspitzen‹ bisher immer recht töricht vorgekommen war, belehrte mich dieser Abend doch eines anderen. Sein Blick war tatsächlich stechend.
Ich fragte mich, was er über mich wissen mochte oder welche Vermutungen er anstellte.
Schließlich fiel mich urplötzlich die Müdigkeit an und ließ mich nicht mehr los. Die Anstrengung, der Wein, das warme Zimmer – all diese Dinge wirkten zusammen, und ich hatte plötzlich den Eindruck, irgendwo in einer Ecke zu stehen, mir selbst zuzuhören und mich zu beobachten, als sei ich ein anderer Mensch. Zwar vermochte ich kurzzeitig schon wieder einiges zu leisten, doch wurde mir klar, daß mein
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