Die Prinzen Von Irland
so
voller Gewalt sicher sein, dass man einen solchen Schwur nicht eines Tages
brechen müsste? Und mit dem Abscheu und dem Ekel ging noch ein anderer
beunruhigender Gedanke einher.
Er selbst war nur um
Haaresbreite dem Tod entronnen. Wie hätte sich sein kurzes Leben dann
dargestellt? Ein paar wenige bedeutungslose Jahre, beendet durch einen
Überfall, ausgelöscht, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort weilte. Zum
ersten Mal wurde er sich seiner eigenen Sterblichkeit intensiv bewusst. Sein
Leben musste doch irgendeinen tieferen Sinn aufweisen. Wenn er an jene
Leidenschaft dachte, die ihn jedes Mal ergriff, wenn er die Formen der Natur
oder die Buchillustrationen studierte, so hatte er das Gefühl, als würde ihm in
dem eintönigen Alltagsleben, das er in Dyflin führte, etwas Wesentliches fehlen.
Er sehnte sich nach mehr, nach etwas Bleibendem, das ihm nicht so sinnlos
entrissen werden konnte. Er wusste nicht so recht, was es war; aber sein
Unbehagen hatte ständig zugenommen, als würde ihm tief in seinem Innern eine
Stimme zuflüstern: »Das ist nicht das wahre Leben. Dies ist nicht deine
Bestimmung. Das ist nicht der richtige Ort für dich.« Er hatte sie immer wieder
vernommen; aber er hatte nicht gewusst, was er tun sollte.
Und doch musste er
sich nun entscheiden – sonst würde Caoilinn einen anderen heiraten. Der
Instinkt sagte Osgar, dass seine Entscheidung für oder gegen die Ehe sein
weiteres Leben festlegen würde. Wenn er Caoilinn jetzt heiratete, dann würde er
sich mit Caoilinn in Dyflin niederlassen, Kinder großziehen und dort den Rest
seines Lebens verbringen. Ein ehrbares Leben häuslicher Seligkeit. Eine
verlockende Aussicht. Genau das, was er sich immer gewünscht hatte. Oder nicht?
*
* *
Eine
Woche nach seinem Gespräch mit Caoilinns Vater kamen zufällig zwei Mönche an
dem kleinen Kloster vorbei. Sie hatten sich einige Tage in Dyflin aufgehalten
und waren auf dem Weg zurück in den Süden zu ihrem Kloster in Glendalough.
Ein einziges Mal
hatte Osgar bisher das berühmte Kloster an den beiden Seen in den
Wicklow–Bergen besucht. Er war damals noch ein kleiner Junge von acht Jahren,
als sein Onkel ihn dorthin mitgenommen hatte. Es hatte ununterbrochen geregnet,
und entsprechend hatte er sich gelangweilt. Aber nun, da er das Bedürfnis nach
Abwechslung, aber auch nach Ruhe verspürte, damit er endlich zu einer
Entscheidung gelangte, fragte er die Mönche, ob er sie nach Glendalough
begleiten dürfe, und sie stimmten bereitwillig zu. Er meldete seinem Onkel,
dass er in ein paar Tagen wieder zurückkehren werde, und machte sich zusammen
mit den Mönchen auf den Weg.
Sie hatten sich für
die untere Landstraße entschieden, die südlich der Liffey–Mündung an den Hängen
der großen vulkanischen Berge entlangführte und wundervolle Aussichten nach
Osten über die Küstenebene bot. Sie wanderten etwa zwanzig Meilen, bevor sie
die Nacht über Rast machten und am nächsten Morgen ihren Weg, nun steiler
bergan, fortsetzten. Der Vormittag war bereits zur Hälfte verstrichen, als sie
an einer Biegung des Bergpfads eine Verschnaufpause einlegten. Einer der beiden
Mönche winkte Osgar zu sich heran und deutete in die Ferne.
Über der Tiefe des
schmalen Gebirgstals lag noch Morgennebel, und die bewaldeten Abhänge, die sich
steil aus dem Wasser erhoben, schienen in den Wolken zu treiben. Die zwei
kleinen Seen lagen unter dem Nebel verborgen, aber ringsum sah man die vom Tau
nassen Baumwipfel aufragen. Osgar erkannte auch die Dächer mehrerer Gebäude aus
Stein: die Hauptkirche, die sie die Abtei nannten, mit ihrem kleinen Türmchen;
einige kleinere Kirchen, den hohen Bogen des Torhauses und ein paar kleine
umliegende Kapellen. Und sie alle überragte, hundert Fuß weit in die Höhe
strebend, der einsame Wächter über das ganze Tal, der berühmte Rundturm.
Das also war
Glendalough – das »Tal der zwei Seen« –, das malerischste Kloster von ganz
Irland. Etwa ein Jahrhundert nach Sankt Patricks Wirken war es von einem
Eremiten namens Kevin gegründet worden.
Das Kloster lag
vielleicht abgelegen, aber klein war es nicht. Schon das beeindruckende Tor
zeugte von einer gewissen Macht. »Vergiss nicht«, gaben seine Gefährten ihm zu
bedenken, »dass nicht nur der Abt, sondern auch der Bischof hier sein Haus hat,
der die Aufsicht über die meisten Kirchen im Liffey–Tal führte.«
Und doch hatte Osgar,
sobald sie durch den Torbogen in den ausgedehnten, von Mauern umschlossenen
Bereich gelangt
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