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Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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und machte sich allein auf den
Rückweg. Aber selbst er hatte nicht vorausgesehen, wie rasch und wie stark die
Flut an jenem Tag aufkommen würde. Vom Strand aus hatte er gesehen, wie
Caoilinn herausfordernd auf einer Sandbank stand und dabei zuerst noch lachte,
als das heranströmende Wasser um sie herumwirbelte. Dann versuchte sie
zurückzuwaten, aber das Wasser war bereits tiefer, als sie gedacht hatte. Die
Wasseroberfläche war übersät mit kabbeligen schäumenden Wellen. Dann sah er,
wie sie das Gleichgewicht verlor und die Arme in die Höhe warf; und er war
blindlings durch das Flachwasser drauflos gerannt und mit einem Hechtsprung in
die reißende Strömung getaucht. Zum Glück war er ein guter Schwimmer. Doch die
Strömung hätte auch ihn beinah fortgerissen. Aber es war ihm gelungen, sie zu
erreichen, und er schaffte es, ihren schlanken Körper fest an den seinen zu
pressen und sie benommen und kreidebleich an Land zurückzubringen. Dort hatte
sie eine Zeit lang hustend und zitternd dagesessen, während er seine Arme um
sie legte, um sie zu wärmen. Schließlich war sie aufgesprungen und dann zu
seiner Verwunderung in Gelächter ausgebrochen. »Du hast mich gerettet«, schrie
sie. Und als sie wieder nach Hause kamen, erzählte sie jedem hochentzückt:
»Osgar hat mir das Leben gerettet!« Sie war wirklich ein sonderbares Mädchen.
Aber seit jenem Tag hatte er das Gefühl, ihr Beschützer zu sein, und das gefiel
ihm auch nicht übel.
    Abgesehen von kleinen
Abenteuern dieser Art konnte er nicht gerade behaupten, dass sein Leben in den
Jahren von der Kindheit bis zum Erwachsenwerden besonders ereignisreich gewesen
wäre. Einmal war der irische König erschienen, um von den Nordmännern Tribut
einzufordern, und hatte so lange außerhalb der Stadtwälle gelagert, bis er ihn
erhielt; aber obwohl es dabei ein kurzes Scharmützel gegeben hatte, war dieses
Abenteuer eher aufregend als Furcht einflößend gewesen. Osgars Leben hatte sich
kaum von dem aller anderen Jungen unterschieden, die er kannte. Aber er hatte
eine besondere Leidenschaft entwickelt. Schon als Kind amüsierte er die
Erwachsenen damit, dass er von seinen Wanderungen am Strand mit Taschen voller
Muscheln zurückkehrte, die er aufgelesen hatte. Zuerst war es nur ein
kindliches Spiel, ein Aufheben von wunderlich geformten oder leuchtend bunten
Muscheln, die ihm gefallen hatten. Dann begann er, seine Muscheln zu einer
Sammlung zu ordnen, bis er ein Exemplar von jedem der verschiedenen Meerestiere
besaß, dessen Schalen in der Gegend zu finden waren. Er bewunderte die Eleganz
und Vielschichtigkeit, mit der jede Muschel ihre harmonische Ganzheit
erreichte. Auch ihre Muster und Farben faszinierten ihn. Manchmal konnte er
völlig versunken ganze Stunden seine Muschelsammlung betrachten und bemerkte
dabei kaum, wie die Zeit verging. Schon bald fügte er ihr auch andere Objekte
hinzu: gepresste Blätter, kuriose Steine, bizarr verknotete Äste von
umgestürzten Bäumen. Er brachte sie alle mit nach Hause und studierte sie. Niemand
teilte seine Sammelleidenschaft, sein Onkel amüsierte sich nur darüber. Selbst
Caoilinn langweilte sich rasch, wenn er ihr von Zeit zu Zeit seine Schatztruhe
zeigte.
    Manchmal besuchte er
auch eine der Kirchen von Dyflin. Hier gab es ein Psalmenbuch, das zwar nicht
besonders prächtig war, aber eine Reihe hübscher Illustrationen enthielt; und
da der Priester wusste, dass Osgar der Neffe des Abts des kleinen Klosters am
Hang oben war, erlaubte er ihm, stundenlang darin zu blättern. Als Caoilinn
sechzehn Jahre alt war, nahm Osgar sie mit und zeigte ihr einen Psalter mit
grünen und goldenen Ornamenten.
    »Siehst du«, sagte
er, »wie das funkelt? Du hast das Gefühl, als ob du direkt in das Buch
eintreten könntest wie in ein Haus, und sobald du drinnen bist, begegnest du….«
– er suchte nach den richtigen Worten – »einer mächtigen Stille.« Er hatte sie
heimlich von der Seite angeblickt und gehofft, in ihrem Gesicht einen Abglanz
seiner eigenen Begeisterung zu finden. Aber sie lächelte nur flüchtig und
wirkte schon wieder leicht ungeduldig. Nach einer Pause, die ihr angemessen
schien, meinte sie: »Komm, gehn wir wieder hinaus.«
    Äußerlich hatte sich
Caoilinn sehr verändert. Aus dem dünnen kleinen Mädchen war eine dunkelhaarige
junge Frau mit einer wohlgerundeten Figur geworden. Osgar hatte damit
gerechnet, dass sich auch ihre Interessen ändern würden. Sie würde nun von
häuslichen Dingen sprechen oder von dem

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