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Die Prinzen Von Irland

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Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gestarrt, als ihn mit
einem Schlag die Erkenntnis traf: Sobald er nach Glendalough ging, würde er von
alledem getrennt sein. Getrennt für immer. Getrennt von der breiten Bucht,
getrennt von seiner Familie, getrennt von Caoilinn. Und bei dem Gedanken an
Caoilinn kamen ihm auf eine bedrängend lebendige Art Erinnerungen an das kleine
Mädchen in den Sinn, das er seit jeher gekannt hatte: die Spiele, die sie
miteinander gespielt hatten; wie er sie am Grab des alten Fergus immer
geheiratet hatte; wie er sie aus dem Meer gerettet hatte. Und nun würde er sie
nie mehr sehen, seine kleine Caoilinn, die eigentlich seine Frau hätte werden
sollen.
    Die immer noch seine
Frau werden konnte!
    Und da traf ihn wie
ein Blitz die Erkenntnis: Das war die Prüfung. Gott hatte es ihm schließlich
doch nicht so einfach gemacht. Er würde Caoilinn aufgeben müssen. Caoilinn, die
er so sehr geliebt hatte und die er, Gott wusste es, glücklich und selig
heiraten würde, wenn er nicht seine wahre Berufung gefunden hätte. Ja, dachte
er, das ist sie. Das ist meine Entsagung.
    Und mit einem neuen
Gefühl von Hingabe, in dem sich Sehnsucht mit Schmerz und Freude mit
Traurigkeit mischten, setzte Osgar seinen Weg nach Dyflin fort.
    Am nächsten Tag traf
er sich mit Caoilinn zur Aussprache. Schon recht früh klopfte er an die Tür
ihres Elternhauses. Ihre Eltern und ihre ganze Familie waren noch da, und so
fragte er sie, ob sie Lust hatte, einen Spaziergang mit ihm zu unternehmen. Die
besorgte Miene ihres Vaters blieb ihm nicht verborgen. Osgar spazierte mit
Caoilinn zum Thingmount hinaus. Und dort, am Grab des alten Fergus, nicht weit
von den strömenden Wassern des Liffey, erzählte er ihr alles.
    Auch wenn sie ein
leicht überraschtes Gesicht machte, hörte sie ihm aufmerksam zu, während er ihr
die Situation erklärte. Er erklärte alles: Wie sehr er sie liebte, das Gefühl
der Ungewissheit, das ihn gequält hatte, seine Berufung zum mönchischen Leben.
Er erklärte, so behutsam er konnte, dass er das Bedürfnis verspürte, nach
Glendalough zu gehen, und dass er sich außerstande sah, sie zu heiraten. Als er
zu Ende gesprochen hatte, schwieg sie eine Weile und starrte auf den Boden.
    »Du musst tun, was in
deinen Augen richtig ist, Osgar«, stammelte sie schließlich. Dann blickte sie
mit ihren grünen Augen ein wenig sonderbar zu ihm auf: »Wenn du nicht nach
Glendalough gehen würdest, dann würdest du mich also heiraten?«
    »Von ganzem Herzen.«
    »Ich verstehe.« Sie
hielt einen Moment inne. »Aber was bringt dich auf den Gedanken, dass ich ›ja‹
gesagt hätte?«
    Einen Augenblick
starrte er sie überrascht an. Aber dann glaubte er begriffen zu haben.
Natürlich versuchte sie, ihren Stolz zu wahren.
    »Vielleicht hättest
du nicht Ja gesagt«, antwortete er.
    »Sag mir nur eins,
Osgar« – sie wirkte aufrichtig neugierig –, »willst du mit allen Mitteln
versuchen deine Seele zu retten?«
    »Ja«, gestand er,
»das will ich.«
    »Und würdest du
sagen, dass ich eine Chance habe, in den Himmel zu kommen?«
    »Ich…« Er zögerte.
»Ich weiß es nicht.« Darüber hatte er nie nachgedacht.
    »Denn ich glaube
nicht, dass ich eine Nonne werden will.«
    »Das ist nicht
notwendig«, versicherte er ihr. Und er begann ihr zu erklären, inwiefern ein
guter Christ einen Platz im Himmel erlangen kann, wenn er seiner eigenen
Berufung folgt. Aber er war nicht sicher, ob sie wirklich zuhörte. »Ich werde
immer an dich denken«, sagte er dann. »Ich werde mich in meinen Gebeten deiner
erinnern.«
    »Danke«, sagte sie.
    »Soll ich dich nach
Hause bringen?«, schlug er vor.
    Warum war ihm diese
Aussprache so unbefriedigend vorgekommen, fragte er sich, während sie gemeinsam
den Rückweg antraten, was hatte er sich erwartet? Heiße Tränen?
Leidenschaftliche Liebesgeständnisse? Er wusste es selbst nicht genau. Es war,
als sei sie in ihren Gedanken woanders gewesen, weit fort von ihm. Als sie den
Eingang ihres Hauses erreichten, hielt sie inne.
    »Es schmerzt mich
sehr«, sagte sie ein wenig traurig, »dass dir Glendalough lieber ist als ich.«
Und mit einem freundlichen Lächeln fügte sie hinzu: »Ich werde dich vermissen,
Osgar. Wirst du mich hin und wieder besuchen kommen?«
    »Ja, das werde ich.«
    Sie nickte und
blickte einen Moment lang zu Boden, doch dann blickte sie zu seiner großen
Überraschung plötzlich mit einer Miene auf, die fast an ihren durchtriebenen
Humor von früher erinnert hätte, wenn der Anlass nicht so ernst gewesen

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