Die Prinzen Von Irland
danach
spürte, diese Rolle zu übernehmen. Und das wollten alle Mönche. Er würde
wahrscheinlich der beste Abt sein, den das kleine Kloster seit Generationen
gehabt hatte. War es also nicht seine Pflicht? Vermutlich. Reizte es ihn nicht?
Er war sich nicht sicher.
Daher
ließ er ihre Frage vorerst unbeantwortet.
»Es
ist schon ein eigenartiges Gefühl, wieder hier zu sein«, bemerkte er. »Wenn ich
nicht fortgegangen wäre«, fuhr er nach einer nachdenklichen Pause fort, »dann
säße ich jetzt vielleicht von einer ganzen Brut von Kindern umgeben in dem
Kloster, und mir gegenüber säße meine Frau. Und ich vermute«, fügte er
schmunzelnd hinzu, »diese Frau wärst du.« Er blickte sie an. »Aber vielleicht
hättest du mich damals ja nicht geheiratet.«
»Oh«,
sagte sie nachdenklich, »ich hätte dich schon geheiratet.«
Sie
sah den Mann, der ihr gegenübersaß, prüfend an. Sein Haar war grau. Sein Gesicht
war schmal geworden und ziemlich streng; dann studierte sie die Linien seiner
Züge. Sie wirkten asketisch, intellektuell, aber nicht unattraktiv.
Sie
erinnerte sich, wie nahe sie einander gewesen waren, als sie ein kleines
Mädchen war. Er war der Spielgefährte ihrer Kindheit gewesen. Sie erinnerte
sich, wie er sie vor dem Ertrinken gerettet hatte. Sie erinnerte sich, wie sehr
sie seine feine, aristokratische Art und seinen Verstand bewundert hatte. Ja,
sie war immer davon ausgegangen, dass er sie heiraten würde. Und wie
schockiert, wie verletzt und wie wütend war sie gewesen, als er sich von ihr
abgewandt hatte. Und warum? Wegen eines Klosters in den Bergen, während er
bereits zu Hause eines hatte. Das hatte sie einfach nicht begreifen können. An
jenem Tag, als sie ihn auf der Landstraße getroffen hatte, da hatte sie ihn
schockieren, seine Lebensentscheidung angreifen, ihm zeigen wollen, dass ihre
Macht über ihn sogar noch größer als die religiöse Berufung war, die ihn ihr
auf so demütigende Art entriss. Damals wäre ich glücklich gewesen, so wurde ihr
mit sarkastischem Vergnügen klar, wenn ich ihn sogar so weit verführt hätte,
dass er selbst Gott als solchen verleugnete. Als ihr all dies wieder einfiel,
schüttelte sie den Kopf. Was für ein Teufel, dachte sie, war ich doch damals.
Sie
war drauf und dran, ihn zu fragen, ob er seine Entscheidung jetzt bereute, aber
sie beschloss, es besser nicht zu tun.
Nach
dem Mahl unternahmen sie einen kurzen Spaziergang. Dabei sprachen sie mehr über
praktische Dinge. Sie erzählte ihm von den Verbesserungen, die sie an ihrem
Anwesen und für ihre Kinder vorgenommen hatte. Erst als sie wieder zum Haus
zurückkehrten, zeigte sie auf eine bestimmte Stelle und bemerkte wie nebenbei:
»Hier hätte man mich beinahe umgebracht. Oder mir gar noch Schlimmeres
angetan.«
Osgar
starrte auf die Stelle, auf die sie zeigte.
»Du
hast davon gehört, nehme ich an?«, fragte sie. »Morann war es, der mir das
Leben rettete. Er war wundervoll. Tollkühn wie ein Löwe. Und auch in deine
Kutte gekleidet, wie ich vermute!« Und sie lachte.
Aber
Osgar lachte nicht.
* * *
Wie hätte er auch nur
lächeln können? Schon vor einiger Zeit hatte er sämtliche Einzelheiten der
Ereignisse an jenem verhängnisvollen Tag erfahren. Sein Onkel war es gewesen,
der ihm in einem langen, glühenden Brief geschildert hatte, wie tollkühn Morann
Mac Goibnenn seine Cousine gerettet und Wie er sie und ihren schwer verwundeten
Gemahl zu dem kleinen Kloster gebracht habe. Er wisse, dass Morann, so hatte
sein Onkel vorsichtig hinzugefügt, überhaupt nur dank Osgars weiser Voraussicht
bis nach Rathmines gelangt sei. Und ohne ihn wäre Caoilinn vergewaltigt und
vermutlich niedergemetzelt worden. Er hatte seinem Neffen versichert, dass
daher alle auch ihm, Osgar, unendlich dankbar seien.
Welch
ein Lob! Ja, er hatte einen gewissen Anteil an Caoilinns Rettung. Aber
letztlich war es Morann gewesen, wenn auch in Osgars Kutte. Morann, der ein
besserer Mann war als er.
Natürlich
hätte er selbst zur Stelle sein und sie retten können, wenn ihn nicht jene Anwandlung
überkommen wäre, die der Schmied für panische Angst hielt. Vielleicht hatte
Morann Recht gehabt und sein Zögern war nichts anderes als das gewesen – reine
Feigheit. Nachdem er den Brief erhalten hatte, hatte er wochenlang ein Gefühl
der Scham und des Ekels vor sich selbst empfunden. Tief gedemütigt, wie ein
Mann mit einem sündhaften Geheimnis, das er mit niemandem teilen konnte, hatte
er seine täglichen Arbeiten in
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