Die Prinzen Von Irland
sein
Vater ihn mit seinen starken Armen in die Luft hob, ihn schwungvoll auf sein
Pony setzte und ihn neben seinem eigenen prächtigen Pferd hertraben ließ, dann
fühlte Harold etwas, was mehr als Glückseligkeit war. Dann war ihm, als ströme
eine Woge der Kraft durch seinen kleinen Körper, und seine blauen Augen
strahlten. Da wusste er, was es hieß, sich frei zu fühlen. Frei wie ein Vogel
in der Luft. Frei wie ein Wikinger auf offener See.
Inzwischen war es
bereits zwei Jahrhunderte her, seit die Wikinger von Skandinavien aus auf
abenteuerlichen Fahrten die nördlichen Meere erkundet hatten. Als Piraten,
Händler und Forscher brachen sie von ihren nördlichen Buchten aus in ihren
schnellen Langschiffen auf, und schon bald lernten in ganz Europa die Menschen
das Zittern, wenn sie sahen, wie von der See her ihre quadratischen Segel oder
vom Flussufer herauf ihre mächtig gehörnten Helme nahten. Von Schweden her
zogen sie bis zu den riesigen Flüssen von Russland hinunter; von Dänemark her
verwüsteten sie die nördliche Hälfte von England, die sie daraufhin
besiedelten. Sie segelten südwärts nach Frankreich und in das Mittelmeer: Die
Normandie und das normannische Sizilien wurden ihre Kolonien. Westwärts zogen
sie zu den schottischen Inseln, der Isle of Man, nach Island, Grönland und
sogar bis nach Amerika. Und es waren die Wikinger aus Norwegen, die, als sie zu
der lieblichen Insel westlich der britischen gelangten, ihre natürlichen Häfen
erforschten, ihren keltischen Namen Eriu – den sie als Eire aussprachen
– in ihre eigene Sprache umwandelten und ihr erstmals den nordischen Namen Ire–Land gaben.
Harold wusste, wie
seine Vorfahren nach Irland gekommen waren. Sein Vater hatte es ihm oft genug
erzählt. Fast eineinhalb Jahrhunderte waren vergangen, seit die riesige Flotte
von sechzig Langschiffen in die Liffey–Mündung gesegelt war. »Und der Großvater
meines Großvaters, Harold Rothaar, befand sich in einem von ihnen«, hatte Olaf
ihm stolz erzählt. Eine größere Abteilung sei flussaufwärts bis zur Hürdenfurt
gerudert. Sie wären dort an einem Grabhügel vorbeigekommen und hätten einen
kleinen Rath entdeckt, der einer Anlegestelle, einem dunklen Teich sowie einem
kleinen Kloster auf der Anhöhe Schutz bot. Die heidnischen Nordmänner waren
enttäuscht über ihre Ausbeute: Die aus Stein erbaute Kapelle enthielt nur ein
bescheidenes Kreuz und einen Kelch aus Gold.
Aber wenn in der
Handelsniederlassung und ihrem kleinen Kloster auch nur wenig Beute zu machen
war, sahen die Wikinger, wie viel versprechend diese Lage war: Ganz in der Nähe
lief das alte keltische Landstraßennetz zusammen und nutzte die Furt als
Flussübergang; der Gezeitenhafen war auf natürliche Art geschützt, und das
Umland war fruchtbar. Außerdem war die Umgebung des Rath leicht zu verteidigen.
Also hatten die Nordmänner
– wie sie oft genannt wurden sich dort angesiedelt. Schon bald waren ein kurzes
Stück weiter flussaufwärts hinter der Furt ein dicht gedrängtes Gewirr von
Hütten aus Holzbalken und Weidengeflecht sowie ein Wikingerfriedhof entstanden.
Als sie erfuhren, dass der dunkle Teich in der Landessprache Dubh Linn genannt
wurde, schufen sich die Nordmänner ihre eigene Version des Namens: Dyflin. Bald
hatten die Wikinger – die sich selbst »Männer aus dem Osten« nannten – die
ganze Gegend nördlich der Liffey–Mündung besiedelt. Und so kam es, dass die
einstige Ebene der Vogelscharen noch einen weiteren keltischen Namen erhielt,
nämlich Fine Gail – »die Gegend der Fremdländer« –,
woraus bald Fingal wurde. Hier hatten auch Harolds Eltern
ihr Gehöft.
Als Harolds Vorfahre
und die norwegische Flotte an jenem Tag in Dubh Linn gelandet waren, hatten die
Männer des Rath gar nicht erst versucht, sich ihnen im Kampf entgegenzustellen.
Da ein einziges Wikinger–Langboot mit etwa dreißig bis sechzig streitbaren
Kriegern bemannt war, wäre jeder Widerstand ohnehin aussichtslos gewesen. Und
dank dieses freundlichen Empfangs hatten die blonden Norweger die Bewohner der
Handelsniederlassung unter ihren Schutz genommen.
Das bedeutete aber
nicht, dass die letzten eineinhalb Jahrhunderte völlig friedlich verlaufen
wären. Aber für Harold waren die Küstenebene von Fingal und die kleine Stadt
Dyflin herrliche Gegenden. Und als sich heute, während sie den lang gestreckten
Abhang zum Liffey hinunterritten, eine graue Wolkenbank über den Himmel
zog, die die Landschaft verdüsterte, hatte dies seine
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