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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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könnte Alfredo das seines Bruders ohne Probleme herausfischen. Die Haut um die Vertiefung herum wirkt stolzgeschwellt. Winzige rote Pusteln – vermutlich von den Zähnen der Haarschneidemaschine – kesseln sie ein, dringen bedrohlich vor.
    »Weißt du«, sagt Alfredo laut. »Ich hab da so meine Zweifel, ob du tatsächlich so bescheuert bist, wie du aussiehst.«
    Tariqs Augen klappen auf. Vollkommen emotionslos, als würde er die Worte von einem Zettel ablesen, sagt er: »Wir haben noch nie vor irgendwelchen Gangstern oder Schlampen gekniffen. Und du fängst jetzt nicht damit an.«
    »Okay«, sagt Alfredo.
    Entgegen dem Gerede auf der Straße hat Alfredo die Virgil’s-Einbrecher nie verpfiffen. Warum auch? Um seinen Bruder loszuwerden? Um an Isabel ranzukommen? Also bitte! Bevor Tariq in den Knast ging, kannte Alfredo Isabel fast nicht. Er hatte sie natürlich hier und da mal gesehen, wie sie auf der Backsteinschräge der Hand-Ballfelder hockte wie ein Talentscout, in Max’ Süßwarenladen Filmzeitschriften kaufte, vorsichtig die Alufolie von einem Gyros pulte, während sie an der Ampel auf Grün wartete, oder bei der Puerto-Ricaner-Parade in Sunnyhill hinter der blauen Polizeiabsperrung stand – aber die Momente erlangten erst im Nachhinein Bedeutung, wurden neu zusammengestellt, nachdem sie sich verliebt hatten. Bevor Tariq eingefahren war, hatten Alfredo und Isabel noch kein Wort gewechselt, abgesehen vielleicht von einigen halb gemurmelten Hallos, wenn sie sich auf der Straße begegneten. Sie war die Freundin seines Bruders. Worüber hätten sie auch sprechen sollen? Außerdem löste ihre äußere Erscheinung ein bislang unbekanntes Gefühl in ihm aus: Sie machte ihn verlegen.
    Und dann, spätabends einmal, einen Monat nachdem Tariq seine Haftstrafe in Fishkill angetreten hatte, tauchte sie plötzlich auf, stapfte durch den Schnee auf den Süßwarenladen zu, auf Winston und Alfredo. Sie trug Stiefel, Fäustlinge und eine bis zum Kinn geschlossene Daunenjacke. Ein Schal verdeckte die untere Gesichtshälfte vollständig, und Alfredo erkannte darin nicht nur einen Schutz vor Kälte, sondern gleichzeitig eine Art Verkleidung, so als wollte sie inkognito durch die Straßen wandern. Aber wer fiel schon darauf herein? Die Augen oberhalb des Schals konnten nur Isabel gehören. Auf ihrem Haar, offen und dunkel, glitzerten Schneeflocken.
    Winston und Alfredo standen nebeneinander unter Max’ rot-goldener Markise. Laut Vereinbarung hätte Winston eigentlich auf der anderen Straßenseite sein und den Stoff bewachen sollen, aber die Nacht war zu kalt, um ganz allein in der Gasse zu stehen, zu kalt, um überhaupt draußen zu sein und Drogen zu verkaufen oder zu kaufen. Und trotzdem standen sie hier, in passenden Wollmützen, die Alfredo für sie gekauft hatte. Sie stampften mit den Füßen, stießen Atemwolken aus und beobachteten, wie Isabel durch den Schnee auf sie zukam.
    Sie sagte etwas – es klang wie hgnwo –, und Winston und Alfredo beugten sich beide vor und sagten »Wie bitte?« Mit offensichtlichem Widerwillen zog sie sich den Schal vom Mund. Sie habe, erklärte sie, »Hallo« gesagt.
    »Oh«, sagte Alfredo. »Hallo.«
    »Hallo«, sagte sie noch mal. »Ich glaube, wir kennen uns noch nicht«, sagte sie zu Winston und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Isabel.«
    »Oh, ich weiß«, sagte er. Er griff nach ihrer Hand, schüttelte sie aber nicht, sondern hielt sie einfach, und während Alfredo zusah und gleichzeitig hektisch sein Konversations-Rolodex durchblätterte, hielt Winston einfach weiter ihre Hand, ganz offensichtlich nicht gewillt, sie loszulassen. Sagenhaft bekifft senkte er die Stimme zu einem Casanova-Bass und sagte: »Lass uns für immer so bleiben.«
    »Es ist aber auch kalt!«, sagte Alfredo. Es war das Beste, was ihm einfiel.
    »Allerdings«, sagte sie und befreite ihre Hand. »Es ist unglaublich kalt.«
    »Eisig!«, sagte Alfredo.
    Winston tippte sich an die Nasenwurzel. »Wenn’s so kalt ist wie jetzt«, sagte er. »dann drehen meine Nasenhaare völlig durch. Ich spür jedes einzelne Haar da oben drin. Als ob sie steif geworden wären. Zu Eiszapfen. Macht mich verrückt, gleichzeitig find ich’s aber auch cool. Ist euch das schon mal passiert?«
    »Und«, sagte Isabel, an Alfredo gewandt. »Hast du in letzter Zeit mal mit deinem Bruder gesprochen?«
    Aha. Der Grund ihres Besuchs. Alfredo hatte schon befürchtet, sie hätte die Gerüchte im Viertel gehört und wäre nun hergekommen, um ihm

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