Die Prinzen von Queens - Roman
schwappt ihm in immer kürzeren Abständen die Kehle hinunter, als hätte man ihn unter Wasser gedrückt und er würde gerade wieder auftauchen. Er muss den Karton loswerden. Er stellt ihn auf den Tresen, neben Max’ Registrierkasse, und tatsächlich: Sogleich entkrampft sich seine Brust. Normal atmend und ohne die Last des Geldes gleitet er zur Eingangstür, wo er, die Augen mit den Händen abgeschirmt, auf die Straße hinaussieht, nach russischen Gangstern und Chevy Impalas Ausschau hält. Der Regen fällt schräg wie blitzende Lichtnadeln.
»Unglaublich«, sagt Winston schwer atmend. Der Verschluss seiner Bierdose ist nach innen gedrückt, was das Loch viel größer macht, zu einem gähnenden Mund. In dieses Loch spuckt Winston einen Faden brauner Soße. »So ein großer Laden und nicht ein verdammter Notizblock.«
»Was machst du da?«
»Du meinst das hier?« Er zieht die Unterlippe runter und präsentiert einen schwarz-braunen Knoten Kautabak, der in der Hautfalte steckt. Seine Zähne sind bereits total verfärbt. »Nennt man priemen.«
»Ich weiß, wie das heißt«, sagt Alfredo, obwohl das gar nicht stimmt. »Spielst du jetzt auch Ukulele?
»Ich steh drauf«, sagt er. »Macht mich derbe beduselt.«
Alfredo sieht zu, wie Winston einen weiteren Faden in die Dose abseilt, erstaunt, dass für seinen besten Freund die Zeit hier oben offenkundig ausgereicht hatte, um neue Süchte zu kultivieren.
»Kann ich mal dein Telefon leihen?«, fragt Alfredo. »Meins ist alle.«
»Mal im Ernst«, sagt Winston. »Was würdest du eigentlich ohne mich machen?«
Er wirft Alfredo das Telefon zu, und weil Alfredo genug andere Dinge im Kopf hat, fängt er es. Er schnippt es auf und sieht, dass Winstons gewohntes Hintergrundbild, eine Wüste mit orangefarbenen Dünen, durch die klischeehafte Aufnahme eines Highways ersetzt wurde. Alfredo ärgert das. Highways und Wüsten sind ihm scheißegal, aber er findet es unglaublich, dass Winston, während er sich den Kopf zerbrach, wie sie hier lebend rauskommen sollten, pharmazeutische Cocktails schlürfte, mit diesem Kaudreck experimentierte und an den voreingestellten Hintergrundbildern seines Handys herumfriemelte. Hallo? Hat hier jemand auch nur die leiseste Scheißidee, unter welchem Druck ich stehe? Den Kiefer zusammengepresst, tippt er sich durch Winstons Telefon, an Kontakten, Einstellungen und Werkzeugen vorbei, bis er zu den Nachrichten kommt. Er wählt »Neue Nachricht verfassen«, und seine Daumen nehmen ihre Arbeit auf.
telefon tuts nicht.
alfredo von hund
gebissen. kommt hinten aus
laden. beeilung! glk, baka
Das glk war möglicherweise ein bisschen viel – ganz lieb knuddel, echt jetzt? –, aber Alfredo fällt nichts Besseres ein, um Bakas verbale Extravaganz zu imitieren. Er schließt die Augen, sieht nur noch den schwarzen Vorhang seiner Lider. Davor rollen die nicht zugeordneten Nummern in Bakas Anrufliste vor seinem inneren Auge ab. Grüne Siebenen rasten neben orangefarbenen Vieren ein. Alfredo gibt alle Nummern in die Empfängerzeile der Nachricht ein. In Kürze werden in ganz New York Mobiltelefone klingeln, piepsen oder vibrieren. Bakas Geschäftspartner – Menschen, denen Alfredo noch nie begegnet ist – werden eine Nachricht lesen, die er geschrieben hat, die sie nicht kapieren und die von einer Nummer kommt, die sie nicht kennen. Gut so. Alfredo schleudert eine Handvoll Pfeile, aber er braucht nur einen Volltreffer. Und anscheinend stehen die Chancen ordentlich bis gut. Aber diese unermüdlichen Pissnelken aus der Abteilung Kopfzerbrechen wollen wissen, was ist, wenn Mike Shifrins Telefon überhaupt keine SMS empfangen kann. Ach, kommt schon. Alfredo zerreißt den Gedanken mittendurch und verfüttert die beiden Hälften an den Reißwolf. Welcher Drogendealer im 21. Jahrhundert kann keine SMS empfangen? Er drückt auf »Senden«.
»Kackwetter, oder?«, sagt Winston, der durch die Eingangstür nach draußen schaut. Sein Atem hinterlässt Dunstkreise auf dem Glas. »Wenigstens hat es beim Mets-Spiel gehalten.«
Alfredo schnappt sich den Schuhkarton vom Tresen und macht ein Tauschgeschäft mit Winston, so wie früher mit Marvel-Karten: Karton gegen Bierdose.
»Warte hier fünf Minuten«, sagt Alfredo. »Dann geh auf die andere Straßenseite. Nein, renn lieber auf die andere Straßenseite.« Fünf Minuten sollten Mike Shifrin reichen – wenn er überhaupt in der Gegend ist –, auf sein Telefon zu schauen, die SMS zu lesen, die Straße zu überqueren,
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