Die Probe (German Edition)
verstehe sie nicht. Ich verstehe euch Frauen überhaupt nicht.«
»Immerhin scheinst du mich nun auch wieder eindeutig zu dieser Spezies zu zählen«, grinste sie.
»Es tut mir leid, ich rede wirres Zeug ...«
»Schon gut, was ist mit Lauren?«
»Seit unserem Einsatz in Norwegen hat sie nicht mehr mit mir gesprochen. Ich rede nur noch mit ihrer Mailbox, und sie ruft nicht zurück, als ob ich Luft für sie wäre. Verstehst du das?«
»Vielleicht ist sie einfach zu beschäftigt?«, antwortete sie ohne Überzeugung. Laurens Interesselosigkeit machte ihm offensichtlich schwer zu schaffen, und sie fühlte sich geschmeichelt, dass er das delikate Thema ausgerechnet mit ihr diskutierte. Er litt, und sie spürte ein wenig Mitleid mit ihm, aber sie wusste nicht, wie sie ihm helfen könnte. Er schien das zu ahnen, denn seine Stimme klang nicht gerade zuversichtlich, als er sagte:
»Renate kennt sie doch am besten und spricht oft mit ihr. Hat sie nichts bemerkt?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nichts dergleichen jedenfalls.«
»Wie meinst du das?«
»Nach allem, was ich von Renate gehört habe, hat Lauren wohl mehr als nur ein Auge auf dich geworfen, mein Lieber.« Er schaute sie verblüfft an, doch sie fuhr unbeirrt fort: »Und in diesem Zustand sind wir Frauen besonders empfindlich.« Die Betonung legte sie auf wir Frauen .
»Was heißt ...«
»Soll heißen, dass du sie wohl irgendwie enttäuscht hast.«
»Aber ...«
»Ich kann dir nur raten, mit ihr zu reden. Du hast mich um Rat gefragt, das ist meine Antwort. Mehr weiß ich leider auch nicht.«
Mit ihr reden. Das versuche ich schon die ganze Zeit , dachte er verbittert, als er wieder auf seinem Zimmer am Schreibtisch saß. Auch von Michael hatte er nichts mehr gehört, seit er ihm das Dossier über Vidal geschickt hatte. Keine E-Mail, kein Brief, kein Telefon nichts. Auch hier konnte er nur mit dem Anrufbeantworter sprechen. Noch so ein Rätsel. Ohne große Hoffnung versuchte er einmal mehr, Lauren ans Telefon zu bekommen. Diesmal rief er vom Hotelanschluss an und ließ sich mit der Telefonzentrale des Instituts verbinden. Der Hörer fiel ihm beinahe aus der Hand, als er Laurens Stimme vernahm.
»Du bist’s«, sagte sie abweisend, als sie erkannte, mit wem sie sprach. »Hör mal, ich habe nur wenig Zeit.« Er wollte sie treffen, in Ruhe mit ihr reden, ihr ein Dutzend Fragen stellen, endlich Gewissheit haben, aber ihr schroffer Ton schnürte ihm die Kehle zu. Statt über sein Problem zu sprechen, räusperte er sich umständlich und antwortete:
»Ich will dich nicht lange aufhalten, aber ich mache mir Sorgen über Michael. Er antwortet nicht, ist nicht erreichbar. Hast du etwas von ihm gehört?«
»Michael? Nein, er hätte uns längst die Verträge zurücksenden sollen, aber wir haben nichts erhalten. Ich kann ihn auch nicht erreichen, weder über das Büro noch privat.«
»Und das seit Tagen. Höchst seltsam«, murmelte er nachdenklich.
»Passt zu ihm«, giftete sie. »Will sich wohl ungestört mit deiner reizenden Francesca vergnügen.« Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
»Meine Francesca? Was soll das ...«
»Ich muss jetzt auflegen. Die Leute warten schon.«
Konsterniert starrte er den Hörer an, als hielte er eine Viper in der Hand. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Laurens Bemerkung bedeuten sollte, aber sie hatte ihn auf eine Idee gebracht. Er ging zum Kleiderschrank und suchte Francescas Karte in den Taschen. Sie war nirgends zu finden, aber sie musste da sein. Er erinnerte sich genau, dass er das Kärtchen aus der Jackentasche genommen hatte, als er sie nach Michaels Privatadresse fragen wollte. Damals, in Laurens Institut. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. In der Eile hatte er die Karte auf dem Tisch liegen lassen. Das musste es sein, deshalb steckte sie in keiner Tasche. Hatte Lauren Francescas Visitenkarte gefunden? Glaubte sie ...? Mit einem Mal sah er einen Sinn in ihrem Verhalten. Das musste die Erklärung sein: die gute Lauren war eifersüchtig! Ein gutes Zeichen, ihm fiel ein Stein vom Herzen. Mit neuem Elan widmete er sich wieder dem mysteriösen Verschwinden von Ryans Bruder. Er würde auch dieses Rätsel lösen, wenn nötig mit einem Abstecher in die Schweiz. Das war er der einsamen, alten Mutter der beiden schuldig.
KAPITEL 12
Feusisberg, oberer Zürichsee
D ie freundlichen Wirtsleute in der Luegeten hatten ihm den Weg zu Michaels Haus ganz genau geschildert, und doch verpasste
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