Die Probe (German Edition)
sich großartig an. Dann hast du also nichts dagegen, dass ich euch ein wenig auf die Füße trete?«
»Wo denkst du hin! Wir können jede Publizität brauchen. Wenn alles klappt, werden wir das Produkt über unser Werk in Würzburg vermarkten. Je bekannter wir sind, desto besser.« Sie holte Atem und fügte dann lachend hinzu: »Wir wollen doch vermeiden, dass uns die Arbeit ausgeht.« Er hätte ihr um den Hals fallen mögen. Kaum je war er so begierig gewesen, mit der Arbeit zu beginnen. Als er sich unter der Tür verabschiedete, legte sie plötzlich die Hand auf seinen Arm und fragte leise:
»Weiß man, wer ihn umgebracht hat?« Er schüttelte den Kopf und überlegte, ob er seinen Verdacht aussprechen sollte. Warum nicht? Es konnte nicht schaden, wenn auch sie vorsichtig war, also sagte er:
»Ich bin ziemlich sicher, dass dieser Vidal seine Finger im Spiel hat.« Sie zuckte zusammen, blickte ihn entgeistert an. »Was hast du?«
»Nichts«, murmelte sie kaum hörbar. Nachdenklich ging er zum Parkplatz zurück, wo sein Mietwagen stand. Es begann zu dunkeln.
Blaenavon, Wales
Nur ein paar Leute auf den hintersten Bänken bemerkten die in schwarze Seide gehüllte, schlanke, junge Frau, als sie geräuschlos die Kirche von St. Peter’s betrat und sich in die letzte noch leere Reihe setzte. Ein feiner Schleier fiel vom breitkrempigen Hut über ihre Augen. Auch wenn nur die formvollendete Nase und die aufreizend rot glänzenden, vollen Lippen zu sehen waren, hätte sie doch jeder der Anwesenden sofort als Fremde erkannt. In ihrem Kaff gab es keine solchen Wesen.
In letzter Minute hatte sich Francesca doch noch entschlossen, nach Blaenavon zu Michaels Beisetzung zu fahren. Vielleicht auch ein wenig aus Betroffenheit und Mitgefühl, hauptsächlich aber aus praktischen Gründen. Sie hoffte, der Anlass würde alle Bekannten und Verwandten versammeln, eine Gemeinde, in der jeder jeden kannte, eine hervorragende Gelegenheit, vielleicht auch mehr über die Griffiths zu erfahren. Nach der vollbesetzten Kirche zu urteilen hatte sie sich nicht getäuscht.
Sie war spät gekommen. Der Gottesdienst neigte sich seinem Ende zu, als sich der Chor, junge Leute, Frauen mit ernsten Gesichtern und viele alte Männer, zu beiden Seiten des Sarges aufstellten. Sie stimmten ein wehmütiges gälisches Lied an, ein vielstimmiges Farewell. Ein kraftvoller Abschiedsgruss, der Michael auf seiner letzten Reise begleiten sollte, als stünden sie am großen Fluss, dessen anderes Ufer kein Lebender je gesehen hatte. Sie schloss die Augen, denn der harmonische Gesang und das Bild dieser einfachen Leute, die hier einem aus ihrer Mitte die letzte Ehre erwiesen, den sie kaum kannten, drangen mitten in ihr Herz. Der sorgsam aufgebaute Schutzwall der Gefühlskälte drohte einzustürzen. Angestrengt versuchte sie, ihre Gedanken auf andere, banale Dinge zu lenken, nur weg von dieser Totenfeier. Trotzdem wurden ihre Augen feucht, und sie durfte nur flach atmen, um nicht in Schluchzen auszubrechen. Nur keine Blöße geben , schärfte sie sich wieder und wieder ein. Sie war nicht hier, um zu trauern, sie war hier, um zu lernen.
»Haben Sie meinen Michael gesehen? Ist er nicht gekommen?«, fragte die alte Frau, als sie ihr nach der Zeremonie die Hand gab wie alle Anderen vor ihr. Das musste die senile Mutter sein, von der Michael ihr erzählt hatte. Glücklicherweise antwortete der Alte, der neben ihr stand, für sie:
»Ruth, das habe ich dir doch schon gesagt. Michael ist gegangen.« Missmutig schaute er sich um und brummte: »Ich verstehe nur nicht, warum Lauren sich nicht blicken lässt. Ist wohl zu fein für die Hogans.«
»Jetzt mach aber mal halblang, du alter Stänkerer!« Der betagte Mann, der das sagte, war klein und rundlich. Die wachen Schweinsäuglein im geröteten Gesicht blickten den Anderen böse an. »Mein Sonnenschein wird schon gute Gründe haben, warum sie nicht hier ist.« Das war ihr Stichwort!
»Da haben Sie recht. Lauren lässt sich entschuldigen. Sie ist im Ausland und hat wichtige Termine mit den Behörden, die sie unmöglich verschieben konnte«, flunkerte sie. »Sie bedauert außerordentlich, heute nicht hier sein zu können. Sie hat mich gebeten, sie zu vertreten.«
»Da siehst du es, alter Knacker. Behörden! Meine Lauren ist eine wichtige Persönlichkeit, das solltest sogar du langsam begreifen.« Er drehte sich um, streckte ihr die runzlige Hand entgegen und sagte freundlich: »Ich bin Ed, Laurens Onkel, und mit wem habe
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