Die Probe (German Edition)
Vorzeigeprojekt hatte sie sich bei ihrem Team und an der Uni bestens eingeführt. Glücklich trat sie in die Pedale.
Auf halbem Weg zum Dorf hörte sie, wie sich ein Wagen rasch von hinten näherte. Sie fuhr ganz an den Rand der schmalen Strasse und atmete tief ein. Bei der unverschämten Geschwindigkeit dieses Idioten erwartete sie eine dichte Staubwolke hinter dem Fahrzeug. Sekunden später schrammte ein weißer Geländewagen haarscharf an ihr vorbei. Sie drohte, das Gleichgewicht zu verlieren, versuchte sich im Zickzackkurs auf dem Fahrrad zu halten. Erst als die Reifen blockierter Räder zischend und knirschend den sandigen Boden aufpflügten, bemerkte sie entsetzt, dass der Wagen mit einer Vollbremsung anhielt. Er stand schräg vor ihrer Nase, unmöglich auszuweichen. Verzweifelt zog sie beide Bremsen. Zu spät, das Fahrrad schlingerte unkontrolliert. Krachend prallte sie in die Seite des Fahrzeugs und stürzte mit einem erstickten Schrei zu Boden. Ein stechender Schmerz lähmte ihre linke Schulter. Sie drehte sich stöhnend auf den Rücken, zerrte das Bein unter dem Fahrrad hervor und starrte ungläubig auf das blutende Knie. Wie in Zeitlupe öffneten sich die Türen des Wagens. Zwei schwarz gekleidete Männer sprangen heraus. Gesichter konnte sie keine erkennen, nur Mund und Augen blieben unbedeckt von den schwarzen Skimasken. Sie wollte um Hilfe schreien, brachte aber nur ein kraftloses Röcheln zustande, als sie brutal an der Schulter gepackt und in den Wagen gezerrt wurde. Der Motor heulte auf, mit einem heftigen Ruck setzte sich das Fahrzeug in Bewegung und beschleunigte rasend schnell auf der holprigen Naturstrasse. Seit dem folgenschweren Bremsmanöver waren wohl kaum mehr als ein paar Sekunden vergangen.
Erst jetzt, eingeklemmt zwischen der Tür und einem übelriechenden Maskierten, begriff sie, dass sie nicht zufälliges Unfallopfer war, sondern das Opfer skrupelloser Entführer.
»Was wollen Sie von mir?«, stöhnte sie. Jedes Wort schmerzte. Die Entführer blickten stur geradeaus und schwiegen, als wäre sie Luft. Sie ließen sich nicht provozieren, erledigten einfach ihren Job, Profis. Angst erstickte ihre aufkeimende Wut. Sie zerbrach sich den Kopf über das Motiv dieser Täter. Aus ihr war kein Geld herauszuholen. Wahrscheinlich waren sie nur Handlanger der wahren Verbrecher, die offensichtlich vor nichts zurückschreckten. Jedenfalls war sie kein zufälliges Opfer. Die Ganoven mussten ihr auf der menschenleeren Strasse gezielt aufgelauert haben. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz: sie war in höchster Gefahr.
Der Wagen verließ die Strasse und bog in ein noch schmaleres Seitensträßchen ab, das durch einen Olivenhain in den Wald führte, der den Hügelzug im Norden der Solarfarm bedeckte. Schlaglöcher und große Steinbrocken zwangen den Fahrer, die Geschwindigkeit zu drosseln. Mit einem unterdrückten Fluch riss er das Steuer herum, konnte aber nicht verhindern, dass das rechte Vorderrad in eine Senke rutschte und das Fahrzeug nahezu zum Stehen kam.
Sie zögerte keinen Augenblick, stieß die Tür auf und stürzte aus dem Wagen. Laut um Hilfe schreiend rannte sie auf die nächsten Bäume zu. Die Sandalen flogen von ihren Füssen. Barfuss rannte sie weiter. Spitze Steine schnitten in ihre Fußsohlen, doch sie beachtete sie nicht. Die Angst im Nacken ließ sie den Schmerz vergessen. Sie wagte keinen Blick zurück, aber ihre Augen nahmen jedes kleinste Detail vor ihr wahr. Kein Mensch zu sehen. Ausgerechnet jetzt musste kein Bauer seine Oliven wässern. Sie hatte die ersten Bäume schon erreicht, als der Blitz mitten in ihr Herz einschlug. Sie stürzte kraftlos zu Boden und blieb verkrümmt und zuckend mit weit aufgerissenen Augen im Staub liegen. Ihre Schreie erstarben zu einem gequälten Heulen und verstummten schließlich ganz. Immer noch zuckend und unkontrolliert um sich schlagend schnappte sie keuchend nach Luft, drohte zu ersticken. Von Krämpfen geschüttelt, bemerkte sie die Elektroschockpistole in der Hand des einen Entführers nicht. Benommen, wie durch dicke Watte, spürte sie, wie kräftige Hände sie packten und in den Wagen zurückschleiften. Dann wurde es dunkel.
Sie fuhren wortlos weiter, als wäre nichts geschehen. Nur die stechenden Schmerzen in ihrer Brust, die jeden Atemzug zur Qual machten, erinnerten Lauren an den Zwischenfall. Und die mit Plastikband gefesselten Hände und Füße, und der schwarze Müllsack über ihrem Kopf.
Sie hatte keine Ahnung, wohin die Fahrt
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