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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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ging. Waren sie zehn Minuten unterwegs, eine Stunde? Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Der Wagen hielt an. Die Tür wurde aufgerissen, einer der Männer packte sie am Oberarm und zerrte sie wortlos vom Sitz. Mit festem Griff nahmen sie sie zwischen sich und schleppten sie ein Stück über weichen Boden, Waldboden. Sie hatten mitten im Wald angehalten, das bestätigten auch die vielen Vogelstimmen und der Geruch nach Harz und Laub, der in den Sack über ihrem Kopf drang. Sie begann wieder zu zittern. Kein Elektroschock war diesmal die Ursache, nur ihre Angst. Sie stolperte und die beiden trugen sie kurzerhand in einen Raum, dessen Bretterboden unter ihren schweren Schritten knarrte. Sie hörte, wie sie eine Tür öffneten. Plötzlich riss ihr einer den Sack vom Kopf. Man gab ihr einen Tritt, dass sie hilflos zusammensackte, dann fiel die Tür ins Schloss.
    »Ihr verdammten Schweine!«, ächzte sie heiser und versuchte mühsam aufzustehen, doch die Beine gaben wieder nach, als wäre ihr Körper zu schwer für sie. Schlaff und elend kauerte sie in einer Ecke, lehnte an der groben Holzwand und versuchte sich zu orientieren. Auch ohne schwarzen Müllsack über dem Kopf sah sie so gut wie nichts. Das erste, was ihr in der finsteren Kammer auffiel, war der üble Gestank nach Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Die haben mich in ein dreckiges Scheißhaus geworfen , dachte sie wütend. Ein schwacher Lichtschein drang durch ein paar Ritzen unter der Decke herein. Es sah aus, als hätte man ein schmales Fensterloch mit Brettern vernagelt. An der Wand gegenüber stand eine Art Sitzbank, und als sie das kreisrunde Loch in der Mitte bemerkte, wusste sie, dass ihre Nase sie nicht getäuscht hatte. Sie saß in der Latrine einer primitiven Holzhütte, nur durch ein Rohr getrennt von der Gülle. Schier unmöglich zu atmen in diesem stickigen, stinkenden Loch, umso mehr, als sie noch immer mit den Nachwirkungen des Elektroschocks zu kämpfen hatte. Wie lange würde sie wohl durchhalten, ohne ohnmächtig zu werden? Einen Moment lang sehnte sie den Kollaps geradezu herbei, müsste sie bloß diesen stechenden Gestank nicht länger ertragen.
    Seit ihrer Entführung hatte sie sich keine Gedanken mehr gemacht über ihre Leute, ihr Projekt, Charlie. Charlie! Sie war mit ihm verabredet. Er würde sie sofort suchen, und er würde sie finden, da ließ sie bei sich keine Zweifel aufkommen. Aber würde er sie rechtzeitig finden oder so, wie er Ryan gefunden hatte? Sie musste durchhalten. Eine Stunde, eine Minute konnte alles entscheiden. Allein der Gedanke verlieh ihr neue Kraft. Sie begann, ihr Verlies systematisch zu untersuchen, zu ertasten, so gut es ging mit den Händen auf dem Rücken und einer höllisch schmerzenden Schulter.
    Unvermittelt sprang die Tür hinter ihr auf.
    »Treiben wir ein wenig Gymnastik?«, spottete eine Männerstimme in einem leicht näselnden Tonfall. Sie warf sich herum, sah jedoch nur sein dunkles Profil in der Türöffnung. Auch er trug Schwarz und hatte sein Gesicht verhüllt.
    »Wer sind Sie, was wollen Sie?«
    »Viele Fragen«, lachte er. Er schien sich über ihre Lage zu amüsieren. »So gern ich mit Ihnen plaudern möchte, ich habe leider nur wenig Zeit. Kürzen wir die Sache also ab. Es ist ganz einfach: ich will Ihre Materialprobe und den Bauplan, dann sind Sie mich für immer los, das verspreche ich Ihnen, Dr. Griffith.«
    »Ich verstehe nicht ...«
    »Oh doch, ich denke, Sie verstehen sehr gut, wovon ich spreche. Vielleicht hilft Ihnen das hier, sich zu erinnern.« Er hielt ihr ein Blatt Papier vor die Nase und beleuchtete es mit einem Feuerzeug. Der plötzliche, grelle Lichtschein schmerzte. Sie kniff die Augen zusammen und betrachtete den Zettel. Sie brauchte nicht lange hinzusehen. Es war die Kopie eines Messprotokolls, das sie nur zu gut kannte. Im ersten Augenblick hatte sie tatsächlich nicht begriffen, wovon der Mann sprach, doch jetzt erschrak sie. Sofort senkte sie die Augen, um sich nicht zu verraten. Woher hatte dieser Gauner die Daten ihrer geheimen Probe? Niemand konnte davon wissen. Im Schein der Flamme sah sie, wie sich sein Mund zu einem unverschämt arroganten Lächeln verzog. Was bildete er sich ein? Nie und nimmer würde ihre Entdeckung in die Hände dieses Schuftes fallen. Sie zwang sich, ruhig zu antworten:
    »Was ist das? Ich weiß immer noch nicht, was Sie wollen.« Sein Lächeln verschwand, die Flamme erlosch.
    »Sind Sie sicher, ganz sicher? Überlegen Sie gut, was Sie jetzt

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