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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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seinem Freund sprach, als gäbe es ihn nicht mehr. Noch hatten sie keinen Leichnam gefunden, noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, Ryan lebend wiederzusehen nach all den Jahren, in denen sie sich aus den Augen verloren hatten. Der Beutel hatte dicht gehalten, die Dokumente waren unversehrt, und je länger er darin las, desto mehr wich die Sorge um seinen Freund einem heftigen Gefühl ohnmächtigen Zorns über die Machenschaften der sauberen Minas Satú, die hier minutiös nachgewiesen wurden. Unter den Papieren befanden sich ausführliche Protokolle von Untersuchungsergebnissen eines Labors in Manaus, das unter anderem hunderte von Proben der Fischbestände oberhalb und unterhalb der Mine analysiert hatte. »Diese Schweine«, knurrte er wütend. »Kein Wunder, war Senhor De Souza nicht begeistert von Ryans Besuch.«
    »Wie bitte?«, fragte Eduardo verwundert.
    »Eine lange Geschichte. Es geht um die große Goldmine weiter flussaufwärts, die Minas Satú. Das sind Beweise, dass die Firma Gewässerverschmutzung im großen Stil betreibt.« Er blätterte weiter, fand zwischen Spesenbelegen die Adresse des Hotels in Manaus, in dem Ryan abgestiegen war, und ein Foto, das ihm einen Stich mitten ins Herz versetzte, dass er unwillkürlich zurückzuckte. Lauren! Ryans Ehefrau, von der er seit Jahren getrennt lebte. Die unbeschreibliche, unbegreifliche, wunderbare und vor allem die unantastbare, unerreichbare Lauren. Sie hatte sich damals Hals über Kopf in den ungestümen Draufgänger Ryan verliebt und Charlies stilles Leiden nicht oder zu spät bemerkt. Sie war der Grund, warum sich die Jugendfreunde seither kaum mehr gesehen hatten. Nein, sie hatten sich nicht einfach aus den Augen verloren, er hatte sich zurückgezogen, seine Wunden geleckt, die beim Betrachten dieses Bildes wieder aufzubrechen drohten. Er beeilte sich, die kostbaren Dokumente in den Beutel zurückzulegen und verschloss ihn sorgfältig. »Vamos!«, sagte er mit steinerner Miene. Die Männer ergriffen die Ruder, die Expedition ging weiter. Als sie nach einer Stunde keine weiteren Hinweise gefunden hatten, begannen sie, im Zickzack zurückzurudern. Der Regen hatte eingesetzt. Trotz des schützenden Blätterdachs prasselten schwere Tropfen auf ihre Köpfe. Die nassen Kleider klebten unangenehm am Körper, doch Charlie dachte nicht daran, die Suche zu unterbrechen.
    Als sie auf die andere Seite des Sees gewechselt hatten, tauchte unvermittelt ein gespaltener Baumstamm auf, der wie der Speer eines Zyklopen spitz und schräg aus dem Wasser ragte. Und an dieser Spitze hingen die zerfetzen Überreste eines schwarzen Schlauchboots.
    »Verdammt!«, rutschte es Eduardo heraus, als sie plötzlich fanden, was sie suchten. Wenn Ryan ertrunken war, dann wohl hier. Äußerst konzentriert suchte Charlie den Boden der Umgebung ab, der hier vielleicht fünf, sechs Meter unter ihnen lag. Nach einer Weile gab er es auf.
    »Sinnlos, von hier oben sieht man nicht viel in diesem schwarzen Wasser, ich muss runter.« Er zog die Kleider aus, schlüpfte in den leichten Neoprenanzug und prüfte den Flaschendruck, bevor er die übrige Ausrüstung überstreifte. Der Sauerstoffvorrat reichte bei dieser Tiefe ohne weiteres für eine Stunde, genügend Zeit, seinen Freund zu finden, wie er hoffte.
    »Warten Sie hier auf mich, Eduardo, ich werde mich an diesem Baum orientieren.« Sein Begleiter nickte nur, und er ließ sich mit der Lampe in der einen Hand und einem kurzen Haken in der anderen ins dunkle Wasser gleiten. Er tauchte ein in eine fremdartige, groteske Welt. Das Kreischen der Vögel, das durchdringende Zirpen der Insekten verstummte mit einem Schlag. Still und schwerelos schwebte er zwischen Baumstämmen, vorbei an überflutetem Geäst, als besäße er die wunderbare Gabe der Eule, lautlos durch den Wald zu segeln. Aber an den Nüssen unter den Blättern knabberten keine Vögel oder Nager, sondern ganze Schwärme kleiner Fische. Für kurze Zeit konnte er seine Blicke nicht von diesen unwirklichen, nie gesehenen Bildern abwenden, doch dann besann er sich auf seine Aufgabe. Er ließ sich bis knapp über den Boden sinken und begann, die Umgebung systematisch abzusuchen. Der schmale Lichtkegel seiner Lampe zwang ihn, quälend langsam vorzugehen. Er war wohl schon zwanzig Meter vom Ausgangspunkt entfernt, als der Lichtstrahl einen großen, gewölbten Gegenstand streifte, der, halb verdeckt, zwischen abgestorbenen Blättern am Boden lag. Kein Baumstamm, eher ein nasser Sack –

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