Die Probe (German Edition)
Herrlichkeit vor ihr. Ebenso verdutzt wie sie, blieb sie einen Augenblick sprachlos stehen.
»Dr. Griffith?«, fragte Daisy schmunzelnd und streckte die Hand aus. »Daisy Hayman von UNEP.« Die Frau erwachte aus ihrer Starre.
»Ich bin Renate Dietrich. Dr. Griffith wurde zu einer dringenden Sitzung der Geschäftsleitung gerufen. Sie hat mich gebeten, Sie zu empfangen. Sie wird spätestens beim Lunch dabei sein.«
»Kein Problem, Frau Dietrich. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich Ihre Lektüre im Zug so unhöflich unterbrochen habe.« Renate lächelte verlegen. Errötete sie gar, oder bildete Daisy sich das nur ein? »Sheets no sukima, eine fesselnde Geschichte«, fuhr sie fort.
»Sie kennen das Buch, Mrs. Hayman?«, fragte Renate fast bestürzt. Es schien ihr peinlich zu sein, dass eine Unbekannte sie bei dieser nicht ganz jugendfreien Lektüre erwischt hatte.
»Ich liebe solche Geschichten«, beeilte sich Daisy zu versichern, um die peinliche Spannung zu lösen. Das war noch nicht einmal gelogen. Sie hatte diese gezeichneten Dramen in ihrer Studienzeit lieb gewonnen, und sie dienten als abwechslungsreiche Sprachübungen. »Miss, übrigens, aber nennen Sie mich doch bitte einfach Daisy.« Renate nickte, ohne sie anzusehen. Sie schien den literarischen Exkurs möglichst rasch beenden zu wollen und fragte unvermittelt:
»Nun, was können wir für Sie Ihre Organisation tun?« Bei der Vorbereitung ihres Besuchs hatten sie es vermieden, konkrete Probleme anzusprechen. Die Firmenleitung wusste lediglich, dass sich die UNEP für die Fabrikation von Nanomaterialien interessierte, die Saitou im großen Stil im Süden der Stadt betrieb. Das hatte genügt, um die richtigen Ansprechpartner zu mobilisieren. Sie bedauerte, nicht weiter in die aufregende Person eindringen zu können, die ihr gegenüber saß. Die unerwartete Begegnung erleichterte ihre Arbeit keineswegs, denn sie zwang sie, äußerst diplomatisch und vorsichtig vorzugehen. Sie musste an die ungefilterten Informationen kommen, ohne dieses scheinbar zerbrechliche Wesen zu verletzen. Bisher hatte sie es stets mit ziemlich arroganten Managern zu tun gehabt, deren menschliche Seiten sie nicht im Geringsten interessierten, und deren zweifelhafte Geschäfte sie jeweils genussvoll und gnadenlos ans Tageslicht förderte. Das hier war etwas ganz Anderes. Sie trank einen Schluck Grüntee, bevor sie antwortete:
»Ich möchte mit Ihren Spezialisten über die Produktion von Nanomaterialien sprechen.« Sie betrachtete Renates Visitenkarte eingehend. »Sie sind Chemikerin und arbeiten im Bereich alternative Energien, wie ich hier sehe?«
»Richtig, Dr. Griffith leitet die Forschungsabteilung des Unternehmensbereichs Saitou Alternative Energy. Ich bin ihre Assistentin. Die Nanofabrikation gehört zum selben Bereich.« Sie schlug den Geschäftsbericht auf, den sie mitgebracht hatte, und zeigte auf das Organigramm. Der Konzern bestand aus der Zentrale und den Teilen Mining, Fossil Energy, Nuclear Energy, und Alternative Energy. »Unser Bereich könnte ebenso gut New Technology, oder so ähnlich heißen. Hier landet nämlich alles, was mit neuartigen Materialien und Verfahren zu tun hat.«
»Gut, dann bin ich bei Ihnen an der richtigen Adresse«, lächelte Daisy. »Sind Sie denn über die Produktionsanlagen informiert?«
»Oh ja, genauer als mir manchmal lieb ist«, platzte Renate heraus. Sie schien heilfroh zu sein, über das Geschäft und ihre Arbeit sprechen zu können, weitab vom Minenfeld ihres Privatlebens.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich arbeite hier an meiner Doktorarbeit. Dr. Griffith ist Gastdozent am Institut für physikalische Chemie der Universität von Osaka – und meine Doktormutter. Mein Spezialgebiet ist das Studium von Nanobatons, stabförmigen Nanopartikeln, winzigsten Teilchen aus Kohlenstoff- und Metallatomen, die sich spontan zu großen Gebilden zusammenklumpen. Diese Teilchen können ihren Zustand unter dem Einfluss bestimmter Felder ändern, zum Beispiel im ultravioletten Licht oder im Magnetfeld. Sie sind daher zum Beispiel für die gezielte Freisetzung von Medikamenten im Körper interessant.« Daisy hatte eine vage Vorstellung von dieser Forschung, aber was hatte das mit den Produktionsanlagen zu tun? Sie brauchte die Frage nicht zu stellen. Ihr fragender Blick genügte, und Renate fuhr weiter: »Die Eigenschaften dieser Teilchen hängen nicht nur von ihrer chemischen Zusammensetzung ab, sondern vor allem auch von ihrer Form und Größe. Für
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