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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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tödliche Spiel mitspielten, machte ihn jedes Mal wütend, wenn er daran dachte. Träge wie das Gewässer, das sie trug, flossen die Stunden dahin. Einzig der schier aussichtslose Kampf gegen die Mücken hielt ihn wach.
    Kurz bevor die Dämmerung einsetzte, erreichten sie endlich die Mündung des Rio Madeira. José steuerte das Boot in eine stille Bucht und ankerte in Ufernähe. Charlie hasste die Unterbrechung, aber er musste einsehen, dass die Weiterfahrt bei Nacht zu gefährlich war. Er würde dafür sorgen, dass die Reise sofort bei Tagesanbruch weiterging. Eduardo hatte unterwegs ein paar Jaraquis gefangen, silbern glänzende Fische, die er nun grillierte. Lustlos kaute Charlie auf der nahezu verkohlten Delikatesse herum, während seine Begleiter begeistert zulangten. Ryans ungewisses Schicksal ging ihm nicht aus dem Kopf, so kurz vor dem Ziel. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er die lange Nacht untätig auf dieser elenden Dschunke verbringen sollte und war erleichtert, als ihn das Los für die erste Wache einteilte. Wenigstens eine Aufgabe für die nächsten vier Stunden. Er setzte sich auf das Oberdeck, lagerte die Füße hoch und versuchte, sich auf die allmählich lauter werdenden Geräusche des nächtlichen Regenwaldes zu konzentrieren, der wie eine schwarze Mauer vor ihm aufragte. Hin und wieder glaubte er, den Schrei einer Eule zu hören, doch es konnte ebenso gut der Ruf eines nachtaktiven Affen oder eines Baumfroschs sein, der das intensive Zirpen und Zischen der Insekten unterbrach. Sehen konnte er so gut wie nichts, einzig die Myriaden Mücken und Eintagsfliegen, die das Positionslicht am Bug umschwirrten. Die nächtliche Jagd nach Früchten und Beutetieren in den Baumkronen am nahen Ufer erahnte er nur durch das Geräusch knackender Äste. Er schreckte auf, als unmittelbar unter seinen Füßen das Wasser zu strudeln begann. Einen Augenblick schien es zu kochen, dann war der Spuk vorbei. Vielleicht ein Kaiman, der nun auch seinen Jaraqui oder Piranha verzehrte. Die Nahrungskette, da war sie wieder. Entnervt streckte er sich auf dem harten Holzdeck aus und starrte in den Nachthimmel, wo einzelne Sterne durch die Wolken blinkten. Die Kakophonie des Dschungelorchesters, das erst nachts so richtig zu erwachen schien, schläferte ihn nun doch langsam ein. Jedenfalls war er heilfroh, als es endlich Zeit wurde, den schnarchenden Eduardo zu wecken und unter das Netz zu kriechen.
    Seit drei Stunden stampfte Josés Boot den Rio Madeira hinauf. Bei Tagesanbruch hatten sie die Anker gelichtet und näherten sich jetzt der Stelle, die Ryans Gefährte beschrieben hatte. Wenn Charlies Landkarte stimmte und er sie richtig interpretierte, müssten sie bald die Flussbiegung erreichen, wo der Seitenarm abzweigte, dessen Stromschnellen seinem Freund zum Verhängnis wurden.
    »Halt, stopp, hier muss es sein!«, rief er vom Aussichtsdeck, als er sah, wie sich das Flussbett weitete hinter einer Landzunge. Kein Wunder, dass Ryan sich hier verirrt hatte, denn der Nebenfluss bildete die gerade Fortsetzung des Rio Madeira, wenn man talwärts fuhr. Er eilte zum Steuerhaus und bedeutete José, hier abzubiegen.
    »Unmöglich«, brummte der und schaute ihn an, als hätte er einen sehr schlechten Witz erzählt. »Nicht schiffbar. Hier weiß man nie, wann man auf Grund läuft, da kommen Sie nur mit dem Kanu oder Schlauchboot durch – und auch das ist gefährlich.« Eduardo bestätigte die Einschätzung des Kapitäns. Charlie überlegte, studierte die Karte nochmals und hatte schließlich eine andere Idee. Vielleicht war es intelligenter, sich der Stelle von unten her zu nähern.
    »Wir müssen zurück. Hier ...«, er zeigte die Stelle auf der Karte, wo sich die beiden Flussarme wieder vereinigten. »Wir versuchen’s von da aus.« Die untere Einfahrt zu finden war schwieriger, als er sich vorgestellt hatte, denn sie unterschied sich kaum vom überfluteten Wald der Umgebung. José wollte auch hier nicht in den Seitenarm einfahren. Erst nach einer lebhaften Diskussion mit Eduardo, von der Charlie kaum ein Wort verstand, setzte er den Kahn in Bewegung. Vorsichtig und im Schneckentempo navigierte er zwischen den Bäumen hindurch bis sich das Blätterdach etwas lichtete. Sie befanden sich in einer Art Waldsee, dessen Ufer nicht die lehmige rote Erde, Grasbüschel und Gestrüpp bildeten, sondern das dichte Blattwerk der Baumkronen des überfluteten Waldes. Charlie hatte keine Augen für die erhabene Schönheit dieser verborgenen

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