Die Probe (German Edition)
meine Arbeit brauche ich deshalb große Serien, die unter verschiedenen Bedingungen hergestellt werden. Diese liefern mir die Produktionsanlagen.«
»Verstehe.« Daisy zögerte, bevor sie die nächste Frage stellte. »Sie sagten vorhin ›genauer als Ihnen lieb ist‹. Heißt das, Sie hatten manchmal Schwierigkeiten mit der Produktion?« Renate lachte.
»Nein, die Produktion selbst hatte Schwierigkeiten. Ich glaube, ich weiß jetzt, worauf Sie hinaus wollen.«
»Worauf will ich denn hinaus?«, fragte Daisy erwartungsvoll. Das Beste, was bei einem solchen Interview geschehen konnte, war, dass der Gesprächspartner das heikle Thema selbst ansprach. Und tatsächlich, Renate tat es mit entwaffnender Offenheit:
»Vor vier oder fünf Monaten haben sich eine Reihe von Unfällen ereignet, bei denen Nanomaterial unkontrolliert in die Umwelt entwichen ist, das ist kein Geheimnis. Darauf spielen Sie doch an, nicht wahr?« Daisy nickte nur, und Renate schien erleichtert aufzuatmen. »Ich kann Sie beruhigen. So bedauerlich diese Vorfälle waren, Schäden haben sie nicht angerichtet. Dr. Griffith hat sofort interveniert, als der erste Fall bekannt wurde. Die Anlagen wurden entscheidend verbessert und die Überwachung perfektioniert.«
»Das tönt wunderbar, aber wie können Sie so sicher sein, dass kein bleibender Schaden entstanden ist?«
»Wir haben unabhängige Untersuchungen angeordnet. Es wurden zahlreiche Boden- und Wasserproben analysiert und man hat uns bestätigt, dass die Verschmutzungen harmlos waren.« Daisy schaute sie zweifelnd an. Allzu oft hatte sie derartige Behauptungen gehört.
»Ich müsste diese Berichte einsehen können.«
»Selbstverständlich. Der wichtigste und für uns wertvollste ist übrigens im neuen Jahresbericht des Greenpeace Environmental Trust enthalten. Er ist noch nicht veröffentlicht, aber ich bin sicher, dass sie ihn von Dr. Griffith erhalten werden.« Greenpeace, das wäre so etwas wie ein Gütesiegel. Wenn Renate die Wahrheit sagte, wäre Saitou in diesem Fall aus dem Schneider. Auch gut , dachte sie zufrieden, ganz gegen ihre Gewohnheit.
Ihr Telefon vibrierte in der Tasche. Sie nahm es heraus und schaute auf das Display: das Büro in London. Es schien wichtig zu sein, um ein Uhr morgens, und normalerweise riefen die Inspektoren die Zentrale an, nicht umgekehrt. Sie entschuldigte sich bei Renate und drückte die Empfangstaste. »Hallo?«
»Daisy Hayman?«
»Ja, ich bin gerade in einer Besprechung, ist es sehr dringend?«
»Allerdings, Miss Hayman, es geht um Ihren Vorgesetzten, Dr. Conway.«
»Charlie? Was ist mit ihm?« Sie war aufgesprungen und schritt aufgeregt am Fenster hin und her, während sie dem Anrufer mit zunehmender Bestürzung zuhörte. Nach dem Gespräch machte sie eilig ein paar Notizen. Die Nachricht hatte sie erschüttert, das war ihr deutlich anzusehen. Fahl und beinahe verängstigt saß sie am Tisch und starrte wortlos auf den Fetzen Papier.
»Schlimme Neuigkeiten?«, fragte Renate zaghaft, betroffen von der plötzlichen Wandlung ihres Gegenübers. »Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann ...« Daisy gab sich einen Ruck. Sie hatte hier einen Job zu erledigen, aber Renate schaute ihr so treuherzig besorgt in die Augen, dass sie unwillkürlich zu erzählen begann:
»Ja – nein. Es geht um meinen Chef, er hatte einen – Unfall, in Südamerika.«
»Ist er ... ? «
»Nein, er hat überlebt, aber sein Freund Ryan ist verstorben. Er hat seine Leiche gefunden.«
»Das tut mir leid«, murmelte Renate leise. »Ryan, sagten Sie?«
»Ryan Hogan, ja, Charlies Jugendfreund.« Diesmal erschrak Renate.
»Oh mein Gott!«, rief sie und erbleichte. »Hoffentlich ist das nur ein dummer Zufall.«
»Zufall, was meinen Sie damit?«
»Ryan Hogan, so heißt Laurens Ex.«
»Lauren?«
»Dr. Lauren Griffith. Eigentlich immer noch Griffith-Hogan. Sie sind nicht formal geschieden.«
Manaus, Amazonas
Es kostete Charlie erhebliche Mühe, seine Augen auch nur einen Spalt zu öffnen. Er brauchte eine Weile, um sich zu orientieren. Wo war er? Sein Hals brannte vor Durst, der Schädel brummte und das helle Licht jagte stechende Blitze durch sein gemartertes Hirn. Er lag auf dem Bauch, auf dem zerwühlten Bett in seinem Zimmer in Manaus. Die verschwitzte Kleidung klebte an seinem Körper, fremde Kleider, die er noch nie gesehen hatte, und noch nicht einmal die Schuhe hatte er ausgezogen. Er stank wie ein alter Fischkutter. Mühsam rollte er sich aus dem Bett, wankte zum
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